Neu-Grünen-Chef Felix Banaszak fliegt für seine erste Auslandsreise in die Türkei. Dort hat Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen beliebtesten Widersacher ins Gefängnis werfen lassen. Ekrem Imamoglu, der beliebte Istanbuler Bürgermeister, hinter Knastmauern – das Land ist in Aufruhr. Die zwei Tage sind prall gestopft mit Programm: Banaszak bestärkt Aktivistinnen, besucht Imamoglus Partei und trifft dessen Stellvertreter. Zweimal spricht er bei Erdogans Regime-Partei vor und stellt fest, "Diplomat werde ich nicht mehr". Nach Mitternacht erfährt man, wie er in Istanbul schon im Polizeibus landete.
ntv.de: 48 Stunden Türkei sind fast rum, Herr Banaszak. Waren Sie überhaupt sicher, dass man Sie reinlässt?
Felix Banaszak: Im Prinzip schon, aber ganz klar war das bei meiner Vorgeschichte nicht.
Vorgeschichte?
2010 war ich erstmals auf Interrail-Reise in der Türkei und fühle mich dem Land seither eng verbunden, habe an der Uni einige Semester Türkisch gelernt und war regelmäßig dort - bis ich 2016 am Rande der Istanbul Pride festgenommen wurde. Die Demonstration war in den Jahren zuvor zu einer richtigen Parade geworden, wurde aber von den Behörden verboten. Wir waren dort mit einer internationalen Delegation, um die Zivilgesellschaft, die queere Community zu stärken. Sie wollten nichts mehr, als für ihre Rechte zu demonstrieren.
Wie gerieten Sie in den Fokus der Polizei?
Die Aktivistinnen und Aktivisten wollten nach dem Verbot ihrer Parade wenigstens eine Erklärung verlesen. Wir haben versucht, eine Art Schutzband um sie herum zu bilden. Als die Polizei brutal eingriff und Tumult losbrach, wurde mein damals 19-jähriger Parteifreund Max Lucks - heute ein Kollege im Bundestag - festgenommen. Da bin ich hinterher und habe versucht, ihm den Polizisten zu entreißen. Das Ergebnis war, dass wir beide im Polizeibus saßen.
Hatten Sie Sorge, wie das für Sie ausgeht?
Die türkischen Aktivisten, die mit im Bus saßen, waren entspannt - man gewöhne sich dran, meinten sie. Es war aber unklar, ob wir die Nacht im Gefängnis verbringen oder ausgewiesen würden. Letztlich kamen wir zur Untersuchung ins Krankenhaus, dann auf die Wache und später am Abend frei. Mein Name wird seitdem irgendwo registriert sein, darum bin ich nach den Inhaftierungen deutscher Staatsbürger wie Deniz Yücel oder Peter Steudtner nicht mehr in die Türkei gereist. Und jetzt am Flughafen hätte es in der Tat sein können, dass bei meiner Einreise Fragen gestellt werden. Als Bundestagsabgeordneter habe ich einen Diplomatenpass, der gibt mir andere Möglichkeiten und Sicherheiten, die ich für die Sache nutzen will.
Rein politisch-strategisch gedacht wären jetzt andere Ziele naheliegender als die Türkei: Polen, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Balten-Staaten. Oder Grönland? War es Ihnen egal, wie gut Sie Ihre Reise in der Öffentlichkeit platzieren können?
Ich habe mich für diese Reise kurz nach der Inhaftierung von Ekrem Imamoglu entschieden. Dieses Ereignis und der deutsche und europäische Umgang damit haben das Potential, ein wirklicher Wendepunkt in der zunehmend autoritären Entwicklung der Türkei zu werden. Das ist auch für uns relevant, insbesondere weil für viele Menschen hier die Türkei ihre zweite Heimat ist.
Wenn Sie den Einfluss Erdogans auf deutsche Innenpolitik erwähnen: Hätte die Türkei dann doch in meine Liste strategisch wichtiger Reiseziele hineingehört?
Die Türkei ist eine wichtige Regionalmacht, die deutsch-türkische Partnerschaft hat eine lange Tradition. Die Auseinandersetzung darüber, wohin sich die Türkei entwickelt, ist durch den brutalen russischen Imperialismus etwas aus dem Fokus geraten, aber auch in der Türkei vollzieht sich schon seit langem, was wir an vielen Orten der Welt beobachten: eine schleichende Erosion demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien. Mich treibt die Frage um, wie wir uns in Deutschland, in Europa, in demokratischen Systemen weltweit dem Autoritarismus entgegenstellen können. Die Widerstandskraft der türkischen Zivilgesellschaft beeindruckt mich.
Stichwort schleichende Erosion: Da ist die Inhaftierung Imamoglus im Vergleich ein dicker Pflock. Erdogan hat ihn eingehauen, und nun gehen Hunderttausende auf die Straße. Hat er sich verkalkuliert?
Schon die letzten Wahlen fanden nicht mehr unter fairen Bedingungen statt. Erdogan hat den Staatsapparat, Medien, Justiz und die Polizei in der Hand. Aber bisher galt: Durch Wahlen kann man die Regierung wechseln. Das droht nun final zu kippen. Immer wieder wurden Oppositionspolitiker, Journalistinnen, Aktivisten inhaftiert. Umgekehrt kommt jetzt eine weitere Kraft dazu, die den Widerstand organisiert: die Studierenden. Erdogans Kalkül ist vermutlich, dass der Protest versandet. Ob das Kalkül aufgeht, dazu können nach meiner Auffassung auch die EU-Staaten einen Beitrag leisten.
Was kann man machen?
In der Türkei wünschen sich viele unserer Gesprächspartner, dass europäische Regierungen und Parlamente sich klar positionieren und dem Erdogan-Regime ein Stoppschild setzen. Doch die Europäer waren bisher sehr leise, sie befinden sich in einem Spannungsfeld: Die Türkei ist ein wichtiger regionaler Akteur und hat durch die Unzuverlässigkeit der Trump-USA in der NATO an Bedeutung gewonnen, auch weil sie zuletzt in Krisen wie dem russischen Angriffskrieg eine hilfreiche Rolle spielte. Zugleich ist die Türkei in einer desaströsen wirtschaftlichen Lage und enorm auf Handel mit der EU angewiesen. Als Europäerinnen und Europäer sollten wir uns keine schwächere Position einreden als wir haben.
Sie erwähnen die Rolle in der Nato, die Wirtschaft, aber nicht den Migrationsdeal. Wie wichtig ist der für Sie in diesem Zusammenspiel?
Es war von Anbeginn ein kontroverser, ja zynischer Deal: Geld gegen Abwehr von Geflüchteten. Damit hat die Europäische Union Erdogan sehr viel Macht gegeben. Jemand wie Erdogan riecht unsere Angst und weiß sie zu nutzen. Umgekehrt hat er selbst Angst vor seiner Bevölkerung, sonst würde er nicht so panisch auf Widerspruch reagieren.
Sie trafen auch Vertreter von Erdogans Partei, der AKP. Wie gehen Sie mit Leuten um, die für Inhaftierungen Unschuldiger mitverantwortlich sind?
Mir war wichtig, in allen Gesprächen auszustrahlen: Wir haben und wir möchten auch zukünftig ein enges Verhältnis zur Türkei behalten, aber auf Basis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das ist dann in Richtung der Opposition ein Signal der Solidarität und in Richtung der AKP eines der Wachsamkeit.
Als Sie aus dem AKP-Gespräch zurück waren, sagten Sie, Sie taugten nicht zum Diplomaten. Warum?
Ich bin ein Freund des klaren Wortes. Doch Diplomatie funktioniert anders: Man muss seine Position deutlich machen, ohne gleich die Tür zuzuhauen. Ich glaube, es ist uns aber gelungen, unsere Erwartungen und Sorgen sehr klar auszudrücken und gleichzeitig ein Ohr für die Gegenseite zu haben und die Form zu wahren.
Ich erinnere aus jedem Termin mit Presse, dass Sie irgendwann sagten, "Wir sind ja zukünftig leider nicht mehr in Regierungsverantwortung". Müssen Sie sich zu solch einem Satz durchringen? Oder vereinfacht er die Sache?
Mir war wichtig, keine falschen Erwartungen zu schüren. Regierungsbeteiligung öffnet Türen, die mir nun verschlossen sind. Aber als Vorsitzender einer Oppositionspartei kann ich natürlich freier agieren. Und auch etwas bewirken, allein schon, weil ich Debatten ohne Rücksicht auf Koalitionspartner anstoßen kann.
Laut Angela Merkel schafft es nur ins Kanzleramt, wer mit vier Stunden Schlaf maximal auskommt. Mindestens zwei solcher Nächte haben Sie jetzt hinter sich. Wäre Kanzler schlafmäßig eine Option für die Zukunft?
Über solche Fragen denke ich nicht nach. Meine physische Kondition wäre vermutlich nicht das Hindernis, ich bin Vater einer kleinen Tochter. Das schult im Umgang mit Schlafmangel.
Als Sie seit etwa 16 Stunden am Stück Besuchs-Programm hatten, teilte Ihr Team Ihnen mit, jemand habe Sie mittels KI auf einem Foto bei Game of Thrones eingefügt. Wo sortieren Sie das nach so einem Tag dann noch hin?
Ich habe ziemlich laut gelacht. Die Sache nehme ich sehr ernst und wichtig - mich selbst nicht so sehr.
Sind Sie sicher, dass man Sie morgen aus der Türkei wieder rauslässt?
Ich habe keinen Anlass, etwas anderes zu erwarten. So wie es unser Interesse ist, das Verhältnis zur Türkei - trotz Gesprächsbedarfs - auf einem guten Level zu halten, ist die Türkei wohl interessiert daran, sich Deutschland gegenüber als Partner zu zeigen. Und, falls daran Zweifel bestanden: Ich komme wieder!
Mit Felix Banaszak sprach Frauke Niemeyer
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