Es war eine unangenehme Erfahrung für Israel: In dieser Woche musste der jüdische Staat feststellen, dass die Ukraine nicht der einzige Verbündete ist, über dessen Kopf hinweg die Trump-Regierung mit dessen Feinden redet. Am Mittwoch hatte die amerikanische Nachrichtenseite „Axios“ gemeldet, Washington verhandele separat mit der Terrororganisation Hamas über die Freilassung der verbliebenen Geiseln in Gaza und eine dauerhafte Waffenruhe.
Entgegen der früheren Praxis habe sich der für die Geiseln zuständige US-Unterhändler Adam Boehler direkt mit Hamas-Offiziellen getroffen, hieß es. Noch am selben Tag wurden die Verhandlungen offiziell bestätigt. Wie israelische Medien unter Berufung auf nicht namentlich genannte Regierungsvertreter berichteten, soll Premier Benjamin Netanjahu darüber unglücklich sein – und wurde vorab wohl auch nicht voll von den Amerikanern informiert. Israel steckt demnach auch hinter dem Leak an „Axios“. Offenbar versucht Jerusalem so zu verhindern, dass Trump hinter verschlossenen Türen zu viele Zugeständnisse an die Hamas macht.
Nun muss Israel zwar noch nicht fürchten, von den USA so verraten zu werden so wie die Ukraine. Nach Bekanntwerden der Kontakte schickte Trump sofort martialische und drohende Bemerkungen in Richtung Hamas, während er für Russlands Diktator Wladimir Putin weiterhin warme Worte findet. „Ihr habt die Wahl“, schrieb Trump am Mittwoch auf X an die Hamas gerichtet. „Lasst alle Geiseln jetzt und nicht später frei und gebt sofort alle Leichname der Leute frei, die ihr ermordet habt, oder es ist vorbei mit Euch.“ Weiter an den Geiseln festzuhalten, würde den Tod der Hamas bedeuten. Das sei die letzte Warnung.
Mit diesem Ultimatum versuchte der US-Präsident offenbar auch, israelische Sorgen über die separaten Verhandlungen zu zerstreuen. Anders als bei der Ukraine hat Trump auch keine Waffenverkäufe an Israel gestoppt, sondern sie sogar intensiviert. So genehmigte die US-Regierung seit seinem Amtsantritt Waffenverkäufe in Höhe von elf Milliarden Dollar, darunter auch jene 1000-Kilo-Bomben, die die Regierung von Joe Biden zurückgehalten hatte.
Die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas scheinen derzeit in einer Sackgasse zu stecken. Die erste Phase des Waffenstillstandes war am Samstag vor einer Woche zu Ende gegangen. Dem ursprünglichen Abkommen zufolge müssten sich beide Seiten nun auf Phase zwei einigen, doch die scheint derzeit in weiter Ferne zu liegen. Die Hamas hatte einen Vorschlag Israels zum weiteren Vorgehen abgelehnt, woraufhin Jerusalem am Sonntag ankündigte, Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen einzustellen.
US-Regierung fokussiert sich auf amerikanische Geiseln
Während manche Experten das Vorgehen der Trump-Regierung als Beleg für einen langsam wachsenden Graben zwischen Israel und den USA sehen, halten es andere nicht für unmöglich, dass der US-Präsident mit seinem ungewöhnlichen Ansatz vielleicht sogar Erfolg haben könnte. „Trump ist bekannt dafür, sich nicht um konventionelle Annahmen zu scheren, er erzielt mit seiner Methode aber oft Resultate“, meint etwa Enia Krivin, Nahost-Expertin der Foundation for Defense of Democracies.
Die Hamas soll laut israelischen Schätzungen noch 59 Geiseln festhalten, von denen 35 nicht mehr leben sollen. Die Verhandlungen mit der US-Regierung sollen sich vor allem darum drehen, die Freilassung der israelisch-amerikanischen Geisel Edan Alexander zu erreichen sowie die Überführung der Leichname der amerikanisch-israelischen Bürger Itay Chen, Omer Neutra, Gadi Haggai and Judi Weinstein.
Die Israelis fürchten, Trump könnte der Hamas zu weit entgegenkommen und Israels Interessen beschädigen, nur um einen Erfolg verkünden zu können. Trumps Nahost-Sondergesandter Steve Wittkoff sagte am Donnerstag zwar, die US-Regierung versuche die Freilassung aller Geiseln zu erreichen, gab aber zu, dass die noch lebende amerikanische Geisel Vorrang für Washington habe. „Edan Alexander ist sehr wichtig für uns – wie alle Geiseln – aber Edan Alexander ist ein Amerikaner und er ist verletzt, deshalb ist er eine Top-Priorität für uns“, sagte Wittkoff. Früher frei gekommene Geiseln hatten berichtet, dass Alexander von der Hamas ausgehungert und misshandelt wird.
Die Verhandlungen um Phase zwei stecken auch deshalb fest, weil Israel und die Terrororganisation unvereinbare Positionen vertreten. Israel besteht darauf, dass die Hamas nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 nicht an der Macht bleiben kann in Gaza, weil sie den Küstenstreifen dann nur erneut zu einer Basis für Angriffe gegen Israel ausbauen würde. Die Hamas hingegen will die Kontrolle über das Gebiet behalten und sieht die in Gaza verbliebenen Geiseln als entscheidenden Hebel, um dieses Ziel zu erreichen.
Nach dem Bekanntwerden der Geheimverhandlungen versicherten hohe Offizielle der Trump-Regierung jedenfalls, dass sie Israels strategisches Ziel weiterhin unterstützen. „Die Hamas hat nun die Gelegenheit, vernünftig zu handeln und das Richtige zu tun und Gaza dann zu verlassen. Sie werden nicht Teil der Regierung dort sein“, sagte Wittkoff. Und fügte hinzu: „Sie sollten Trump besser nicht austesten.“
Clemens Wergin ist seit 2020 Chefkorrespondent Außenpolitik der WELT. Er berichtet vorwiegend über den Ukraine-Krieg, den Nahen Osten und die USA.
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