Wie schwierig die Rekonstruktion des Vorlebens von Alexander S. werden dürfte, zeigen kleine Details. Im Jahr 2010 wurde der mutmaßliche Amokfahrer aus Mannheim am Amtsgericht Altenkirchen wegen Körperverletzung verurteilt. Allerdings liegen Akten zu dem Fall nur noch rudimentär vor. Große Teile der Dokumente wurden bereits vernichtet. WELT konnte nun ein weiteres Detail der kriminellen Vergangenheit von Alexander S. rekonstruieren.

Demnach wohnte S. damals in der Kleinstadt Ladenburg im baden-württembergischen Rhein-Neckar-Kreis. Am 10. Dezember 2009, gegen 23 Uhr, traf er sich knapp 200 Kilometer von seinem Zuhause entfernt in Altenkirchen im Westerwald mit einer Frau in deren Auto. S. soll der Frau im Fahrzeug seine Probleme geschildert haben.

In dem Strafbefehl, der WELT vorliegt, wird die Situation so geschildert: „Nachdem Sie die Aufmerksamkeit der Zeugin auf einen anderen geparkten Pkw gelenkt hatten, versetzten Sie der Zeugin ohne rechtfertigende Veranlassung oder entschuldigenden Grund plötzlich und unerwartet mit einem Elektroschocker am linken Oberschenkel einen leichten elektrischen Schlag.“ Seit der Tat leide die Frau an Angstzuständen, heißt es in den Gerichtsakten.

Für die Tat wurde S. zu drei Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Das Gericht erkannte bei S. einen Zustand der „erheblich verminderten Schuldfähigkeit“. Warum, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Der gängigste Grund für verminderte Schuldfähigkeit sind Drogen- und Alkoholkonsum. Aber auch eine „seelische Störung“ oder eine Intelligenzminderung kommen infrage.

Die Strafe wurde später mit einer Verurteilung wegen des unerlaubten Führens einer Schusswaffe zu einer Gesamtstrafe von drei Monaten und zwei Wochen zusammengefasst. Polizisten hatten bei S. am 12. September 2010 um 00:15 Uhr eine 9-Millimeter-Schreckschusspistole der Marke Reck Miami entdeckt. Das Besondere: S. befand sich zu dem Zeitpunkt auf dem Schulhof eines Gymnasiums im baden-württembergischen Ladenburg.

Warum Alexander S. sich 200 Kilometer von seinem Wohnort entfernt mit einer Frau in ihrem Auto traf, um ihr von seinen Problemen zu erzählen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. „Dazu hätte nur die Strafakte Hinweise geben können, die aber seit geraumer Zeit wegen Ablaufs der Aufbewahrungsfristen vernichtet worden ist“, teilte der Direktor des zuständigen Amtsgerichts Altenkirchen, Johannes Kempf, WELT auf Anfrage mit.

Noch ist die Motivlage von Alexander S. unklar. Schnell schlossen die Ermittler ein politisches Motiv aus. Sie verfolgen vielmehr die These eines psychisch kranken Einzeltäters. Doch mittlerweile ruft die schnelle und frühe Fokussierung auf ein Motiv selbst in Polizeikreisen für Kritik. Denn nach und nach werden politische Ansichten des Tatverdächtigen publik. 2018 wurde S. etwa vom Amtsgericht Weinheim zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen verurteilt. Der Grund: S. hatte bei Facebook unter einem Foto von Adolf Hitler „Sieg Heil from Germany“ kommentiert.

Am Mittwoch berichteten dann mehrere linke Recherchegruppen über eine rechtsextreme Vergangenheit von Alexander S. So soll er in internen Listen der Reichsbürger-Gruppe „Ring Bund“ aufgetaucht sein. Im Jahr 2022 wurden zwei Mitglieder der Gruppierung vor dem Landgericht München wegen unerlaubten Handels mit Schusswaffen und unerlaubten Erwerbs von Kriegswaffen zu Haftstrafen verurteilt.

Weitere Hinweise auf eine mögliche rechtsradikale Gesinnung geben Videos und Fotos einer Demonstration im Oktober 2018 in Berlin. Damals nahm Alexander S. an einer Kundgebung des rechtsextremen Vereins „Wir für Deutschland“ teil. Auf zahlreichen Fotos ist S. zudem mit Waffen und vor Kriegsgerät zu sehen. Auf einem Foto in dem russischen Netzwerk „VK“ posierte er etwa mit einer Sportwaffe samt Zielfernrohr.

Laut Landeskriminalamt sei bei den Ermittlungen entscheidend, ob zwischen Gesinnung und Tat ein Zusammenhang bestehe. Bislang gehe man davon nicht aus – auch wenn nun das Online-Umfeld von Alexander S. erst noch genauer untersucht werden muss. Allerdings werden die Ermittler auch dort auf kein kohärentes Bild stoßen. Ein Video einer Künstlergruppe, die rechtsextreme Symbole übermalt, kommentierte er im Dezember 2020 mit: „saugeil“.

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