Europa rüstet auf, der US-Präsident wendet sich von der Ukraine ab und Deutschland will große Schulden aufnehmen, um die Verteidigungsfähigkeit zu stärken: Die vergangenen Tage waren äußerst turbulent. Wie blicken internationale Kommentatoren auf die Geschehnisse?

„Ein kruder, unstrategischer Neandertal-Realismus“

Über den Politikstil des amerikanischen Präsidenten schreibt die New York Times: „Die Zerschlagung der (Entwicklungshilfebehörde) USAID. Drohungen, Kanada zum 51. Bundesstaat zu machen. Die Demütigung der Ukraine. Was ist mit der US-Außenpolitik los? Manche sehen sie getrieben von Präsident Trumps persönlicher Gier oder seiner Vorliebe für Diktatoren. Beides mag zutreffen, aber die ganze Geschichte erzählt keines davon.“

Was für Trump am meisten zähle, sei nicht der Reichtum oder die Ideologie eines Landes, sondern wie mächtig es sei. „Er glaubt daran, die Schwachen zu beherrschen und den Starken Respekt zu zollen. Diese Strategie ist so alt wie die Zeit selbst. Sie nennt sich Realismus.“ Vieles von dem, was Trump im Ausland tue, sei ebenso wie das, was er im Inland tue, „plump, kurzsichtig und grausam“.

Aber Kommentatorin Farah Stockman schreibt auch, in der US-Regierung gebe es die Erkenntnis, „dass die liberale internationale Weltordnung nur dank der militärischen Macht der USA möglich war und die Amerikaner die Rechnung nicht mehr bezahlen wollen“. Das sei Realismus, „ein kruder, unstrategischer ‚Neandertal-Realismus‘, wie ihn der Politikwissenschaftler Stephen Walt einmal nannte – aber dennoch eine Form von Realismus“. Am Ende warnt Stockman aber: Alle Großmächte gingen irgendwann unter. „Neandertaler-Realismus rettet sie nicht. (…) Edle Ideen, so stellt sich heraus, sind wichtig.“

Lob für Merz aus Schweden

Die liberale schwedische Tageszeitung „Göteborgs-Posten“ meint: „Auf den Tag genau ein Jahr nach Schwedens Nato-Beitritt herrscht ein kräftiger Sturm in der Weltpolitik. Es ist klar, dass Europa jetzt seine eigene Verteidigungskapazität aufbauen muss. Nicht um einen Krieg mit Russland zu beginnen, sondern um Moskau nicht auf den Gedanken zu bringen, man könne einen geschwächten Westen ausnutzen. Aufzurüsten kostet Zeit. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass der künftige deutsche Kanzler, Friedrich Merz, Anfang der Woche mitteilte, dass Europas größte Volkswirtschaft von seiner bisherigen restriktiven Finanzpolitik abkehrt und kräftig in Verteidigung und Infrastruktur investiert.“

Niederländische Zeitung: „Verdrehung der Tatsachen“

Frankreichs Präsident erwägt nach eigenen Worten, verbündete Länder unter den Schutz der französischen Atomwaffen zu stellen. Dazu meint die niederländische Zeitung „De Telegraaf“: „Nach der Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, in der er vor der grenzenlosen Aggressivität Moskaus warnte, hat Russland einmal mehr sein wahres Gesicht gezeigt. Als Reaktion auf Macrons Äußerung, andere europäische Länder könnten unter den Schutz der französischen Atommacht gestellt werden, warf der Kreml Paris umgehend einen ‚extrem konfrontativen‘ Ton vor. Macron, so Putins Außenminister Lawrow, bedrohe Russland. Das ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen. Erst wenige Tage vor Lawrows Äußerung hatte sich ein russisches Kampfflugzeug über dem Mittelmeer dreimal einer französischen Drohne genähert. Das war – nicht zum ersten Mal – ein äußerst gefährliches Verhalten im internationalen Luftraum. Zudem sind es die Russen, die regelmäßig versuchen, den Westen mit atomarem Säbelrasseln einzuschüchtern. (...) Macron hat völlig recht, dass eine nukleare Abschreckung gegen den russischen Aggressor notwendig ist. Und wenn die Amerikaner Europa fallen lassen, wird es auf den Schutz der einzigen verbleibenden europäischen Atommächte ankommen: Frankreich und Großbritannien.“

So sieht eine kremlnahe Zeitung die Pläne in Europa

Den Gipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs zur Verabschiedung des Aufrüstungsprogramms bewertet die kremlnahe russische Zeitung „Iswestija“ so: „EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat den Plan Rearm Europe zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit vorbereitet. Daraus folgt, dass die EU-Länder in den nächsten Jahren 800 Milliarden Euro für das Militär ausgeben sollen.“

Aber mit Geld allein lasse sich das „Verteidigungsproblem“ nicht lösen, heißt es. „Die europäische Rüstungsindustrie ist dezentralisiert. Sie ist nicht bereit zur Wiederbewaffnung, ihre Kapazitäten sind schwach und die Waffenlager sind leer wegen der Ukraine-Hilfe.“

Und weiter: „Für die Militärreformen braucht die EU viele neue Waffen und sie wird sie in den USA kaufen, weil die Kapazitäten der europäischen Produzenten nicht reichen. Das führt dazu, dass Geld aus den europäischen Ländern in großem Umfang nach Washington abfließt. Dabei hat der EU-Kommissar für Verteidigung und Weltraum, Andrius Kubilius, schon im vergangenen Dezember eingeräumt, dass Russland innerhalb von drei Monaten mehr Waffen produziert als die gesamte europäische Rüstungswirtschaft und in sechs Monaten mehr als die Bundeswehr insgesamt besitzt.“

Britische Zeitung sieht „Verrat an der Ukraine“

Zur Einigung der EU-Staats- und -Regierungschefs auf das Aufrüstungsprogramm meint die britische Zeitung „The Independent“ : „Die Europäische Union – lange Zeit ein wirtschaftlicher Riese, aber ein militärischer Zwerg – entwickelt in rasantem Tempo eine gemeinsame ‚Identität‘ im Bereich Verteidigung und Sicherheit. Ob sie tatsächlich die Waffen und die finanziellen Mittel liefert, die die Ukraine so dringend braucht, nachdem Amerika sie ihrem Schicksal überlassen hat, wird sich bald zeigen.“

Es gebe hoffnungsvolle Zeichen. Friedrich Merz habe „das Ausmaß des geopolitischen Wandels, den Präsident Trump herbeigeführt hat, am deutlichsten zum Ausdruck gebracht hat. Dieser Wandel geht über den Verrat an der Ukraine hinaus – der allein schon schlimm genug ist – und führt dazu, dass Trump im günstigsten Fall zu einem halbherzigen und unzuverlässigen Verbündeten Europas wird und im schlimmsten Fall zu einem uneingeschränkten Partner Russlands, der Europa offen feindlich gegenübersteht.“

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