Es gibt gute Gründe, die von Russland ausgehende Gefahr ernst zu nehmen. Die ständigen Drohungen der Außenamtssprecherin oder des ehemaligen Präsidenten gehören allerdings nicht dazu.

Russland bereitet sich auf die Vereidigung von Friedrich Merz als Bundeskanzler vor, anders kann man die jüngsten Äußerungen der Sprecherin des russischen Außenministeriums nicht erklären. Jeder Angriff mit Taurus-Marschflugkörpern auf russische Ziele werde als "direkte Beteiligung" Deutschlands an dem Konflikt aufgefasst, sagte Maria Sacharowa in ihrer Eigenschaft als wandelnde Drohkulisse. Es ist der seit Jahren bekannte Unfug aus Moskau.

Richtig ist: Kriegspartei wird Deutschland nicht durch Waffenlieferungen, auch nicht durch Drohungen aus Moskau. Aber die russischen Lügen, sie wirken halt so gut im Westen. Vor allem in Deutschland.

Natürlich gibt es Gründe, Angst vor Russland zu haben. Die Ukrainer hatten vor dem großen russischen Überfall Angst vor Russland. Noch kurz vorher erzählte Putin, er wolle "natürlich nicht" Krieg führen. Da standen seine Truppen bereits an der ukrainischen Grenze. Auch die Balten und Polen haben Angst vor Russland. Sie lassen sich davon allerdings nicht lähmen.

Ein Versuch der Manipulation

Man kann es nicht oft genug sagen: Putin ist ein Lügner, ein Kriegsverbrecher, ein Staatsterrorist. Er versucht, unsere Angst zu instrumentalisieren. Wenn Sacharowa verkündet, ein Einsatz von Taurus-Raketen gegen "russische Einrichtungen" werde "wie eine direkte Beteiligung Deutschlands an den Kampfhandlungen an der Seite des Regimes in Kiew aufgefasst, mit allen Konsequenzen, die das mit sich bringt" - dann ist dies keine faktenbasierte Aussage, sondern ein Versuch der Manipulation.

Offenbar ist der Kreml zu dem Schluss gekommen, dass die Eskalationsschleuder Dmitri Medwedew nicht ausreicht. Der russische Ex-Präsident hatte Merz kürzlich einen "Nazi" genannt und ihm geraten, sich die Lieferung von Taurus an die Ukraine gut zu überlegen. Anlass für die Einsätze von Sacharowa und Medwedew ist eine Äußerung des mutmaßlich nächsten Bundeskanzlers. Darin hatte dieser nicht ausgeschlossen, Taurus zu liefern.

"Lieferung macht nicht zur Kriegspartei"

Völkerrechtlich ist die Frage eindeutig. "Beschränkt man sich darauf, der Ukraine Waffen zu liefern, dann ist es Sache der dortigen Armee, diese einzusetzen. Die Lieferung selbst verursacht nicht unmittelbar militärischen Schaden beim Gegner und macht den helfenden Staat daher nicht zur Kriegspartei", sagte der Völkerrechtler Alexander Wentker ntv.de.

Natürlich kann man argumentieren, dass Russland das Völkerrecht egal ist. Warum sollte es sich also in dieser Frage daran orientieren? Richtig - das tut Russland auch nicht. Russland behandelt den gesamten Westen ohnehin längst als Kriegsgegner. "Das ist auch kein Geheimnis, sondern Teil der Erzählung, mit der Putin seine Invasion zuhause in Russland rechtfertigt", sagt der Russland-Experte Jens Siegert. "Putins Narrativ folgend verteidigt sich Russland gegen den Westen, der es vernichten will."

Tatsächlich ist es umgekehrt: Russland will die Ukraine russifizieren oder vernichten, den Westen unterwerfen.

"Wie bei 'Täglich grüßt das Murmeltier'"

Ein Argument gegen die Taurus-Lieferung war immer, dass diese von Bundeswehr-Soldaten bedient werden müssten. Selbst das wäre zwar völkerrechtlich möglich, denn der Bruch des internationalen Rechts liegt im russischen Angriff - dem Opfer zu helfen, ist von der UN-Charta eindeutig gedeckt. Aber für die Nato-Staaten ist der Einsatz von Soldaten eine rote Linie. Nur: Experten bestreiten vehement, dass deutsche Soldaten nötig wären, um den Taurus zu bedienen. "Das ist ein bisschen wie bei 'Täglich grüßt das Murmeltier'", sagte der Sicherheitsexperte Nico Lange bei ntv. Alle Argumente seien "schon unendlich oft ausgetauscht" worden. Taurus-Raketen gebe es auch in Spanien und Südkorea. "Die brauchen dafür ganz offenbar keine deutschen Soldaten."

Friedrich Merz hat auch nie gefordert, deutsche Soldaten an etwaigen Taurus-Einsätzen der Ukraine zu beteiligen. Sondern ukrainische Soldaten an den Marschflugkörpern auszubilden, was vier bis fünf Monate dauern könne.

Putin will uns lähmen

Was auf ein deutsches Publikum furchterregend wirken mag, ist für russische Ohren übrigens ganz normal: Russische Talksendungen sind voll mit wirren Fantasien einer nuklearen Zerstörung Westeuropas durch Russland. Dabei ist das gar nicht die wahre Bedrohung.

Die Militärexperten Sönke Neitzel und Carlo Masala führten kürzlich im ntv Salon aus, dass die viel größere Gefahr ein kleinerer Angriff wäre, beispielsweise auf die Stadt Narwa in Estland. Die meisten ihrer Einwohner sind russischsprachig. Wie in der Ukraine könnte Putin behaupten, er müsse Landsleute "befreien". Wie würde die Nato dann reagieren? Würde sie klein beigeben, die Stadt opfern? "Damit wäre die Nato politisch tot", sagte Masala.

Jede Drohung aus Moskau ist die Vorbereitung auf einen realen Angriff - der umso unrealistischer wird, je weniger furchtsam wir reagieren. Das heißt nicht, dass die Bundesregierung der Ukraine morgen oder in fünf Monaten Taurus liefern sollte. Und selbst wenn sie es täte, wäre der Krieg damit nicht entschieden. Es mag sein, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius kürzlich sagte, dass es gute Gründe gegen die Lieferung gibt. Gute Gründe, über die er öffentlich nicht reden könne. Aber vor allem gibt es gute Gründe, sich von der Angst vor Russland nicht lähmen zu lassen. Denn genau das will der Kreml.

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