Die M23-Rebellen im Ostkongo errichten in den von ihnen eroberten Gebieten einen Staat im Staat. Sie haben eine Verwaltung eingesetzt und eröffnen nun die erste Bank, damit die Wirtschaft wieder in Gang kommt. In Katar suchen sie und die Zentralregierung eine Verhandlungsgrundlage.
Im Zentrum der ostkongolesischen Handelsmetropole Goma hallen die Strophen der deutschen Rockband Scorpions durch die Straßen: "You and I just had a dream!". Lautsprecher sind vor einer Bankfiliale aufgebaut, der rote Teppich ausgerollt. Von allen Seiten kommen neugierig die Menschen angelaufen. Sie wollen sehen, was los ist.
Die meisten haben ohnehin nicht viel zu tun. Denn ein Großteil der Läden, Supermärkte, Restaurants und Kneipen in der Millionenmetropole sind seit Wochen geschlossen. Auf den sonst so staugeplagten Straßen fahren nur wenige Fahrzeuge. Selbst die Mineralienhändler, die in Friedenszeiten Zinn, Tantal und Wolfram auf den Weltmarkt exportieren, haben ihre Tore mit Vorhängeschlössern verriegelt. Die Wirtschaft in der sonst so geschäftigen Metropole liegt am Boden.
Knapp drei Monate ist es her, dass die Provinzhauptstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo von den Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März) erobert wurde. Nach tagelangen Gefechten mit mehreren tausend Toten wurde die Regierungsarmee in die Flucht geschlagen. Seitdem herrschen nun die M23-Rebellen in den eroberten Gebieten entlang der Grenze zu Ruanda. Sie sind dabei, einen Staat im Staat zu errichten.
Die M23-Anführer kommen in Geländewagen ohne Nummernschilder angebraust. Kämpfer auf den Dächern der umliegenden Gebäude halten Wache. Es ist ein wichtiger Tag für die neuen Herrscher. Denn seit der Einnahme Gomas sind auf Anweisung der Regierung in der entfernten Hauptstadt Kinshasa alle Banken in den von der M23 eroberten Gebieten geschlossen, die Konten eingefroren, die Geldautomaten abgeschaltet. Seitdem ist in den M23-Gebieten kaum mehr Geld im Umlauf.
Das soll sich nun ändern. Die Bank CADECO (Caisse Générale d’Epargne du Congo) war bislang eine Sparkasse für Kleinunternehmer. Jetzt wollen die M23-Rebellen die CADECO als eine Art Zentralbank nutzen und dort ihre Steuereinnahmen verwalten, die sie von der Bevölkerung einkassieren. Im Gegenzug soll die Bank Kredite ausgeben, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.
Vor der Bankfiliale salutieren Leibwächter, als Corneille Nangaa aus dem schwarzen Geländewagen steigt. Der frühere Leiter der Wahlkommission ist nun Chef der Rebellenallianz AFC (Allianz des Kongo-Flusses), ein Verband unterschiedlicher bewaffneter Gruppen und Oppositionspolitiker im Exil. Die M23 ist die stärkste militärische Kraft in der AFC, die nun auch die politischen Geschäfte in den eroberten Gebieten leitet.
Mit einem Spazierstock als Stütze schreitet Nangaa den roten Teppich entlang. Er muss viele Hände schütteln und wird mit "Seine Exzellenz" angesprochen. Die Rebellen haben eine Provinzregierung eingesetzt, Minister ernannt und Kämpfer in Polizeiuniformen auf die Straßen entsandt, um den Verkehr zu regeln. Sie ziehen nun auch Steuern ein. Anders als 2012, als die M23 schon einmal Goma eingenommen hat, haben sie dieses Mal die Banktresore nicht leergeräumt, sondern Kämpfer vor den Türen postiert, um die Reserven zu sichern.
Sie sind wohl gekommen, um zu bleiben. Dabei spielen die Banken eine wichtige Rolle. Denn darüber sollen in Zukunft auch die Löhne für die Staatsbediensteten wieder ausgezahlt werden. Der von der M23 eingesetzte Bankdirektor Javane Sangano tritt ans Rednerpult: "Heute ist ein denkwürdiger Tag für unsere Kunden", verkündet er. "Wir möchten unsere aktuellen und potenziellen Kunden einladen, noch heute vorbeizukommen und unsere Finanzangebote kennenzulernen." Die Anwesenden klatschen. Dann übernimmt AFC-Vorsitzender Nangaa das Mikrophon: "Dieses Geld gehört dem Volk!", wettert er und schneidet das blaue Band durch.
Die M23 ist nun in einer kritischen Phase. In ihrem fast vierjährigen Krieg gegen die Regierung in der 1600 Kilometer entfernten Hauptstadt haben die Rebellen den Menschen im Osten all das versprochen, was der Staat ihnen nicht liefert: vor allem Sicherheit und Frieden. Nach fast 30 Jahren Krieg und Konflikt im Chaos von über hundert Milizen und einer maroden Armee, die keine Menschenrechte achtet, ist das das Hauptbedürfnis der Menschen.
Doch Frieden - das stellt sich unter M23-Herrschaft in Goma nun nicht wirklich ein. Zu Zeiten der Belagerung Gomas durch die M23 sorgten Jugendmilizen, Wazalendo genannt, die gemeinsam mit Kongos Armee kämpfen sollten, innerhalb der Stadt für Chaos und Plünderungen in den Armenvierteln. Die M23 hingegen versprach Sicherheit, gewann dadurch an Sympathie bei der Bevölkerung. Doch immer noch dringen jede Nacht Bewaffnete in Häuser ein, rauben, plündern, töten. Die Bevölkerung ist den Übergriffen schutzlos ausgeliefert. Die seit Jahrzehnten in Goma stationierten UN-Blauhelme haben sich in ihren Lagern hinter Sandsäcken verbarrikadiert.
Besonders in den Randgebieten der Stadt, wie im Viertel Nyiragongo, benannt nach dem aktiven Vulkan, der sich majestätisch über Goma erhebt, kommt es jede Nacht zu Schießereien. Auf dem Schulhof einer Grundschule in Nyirangongo kann man sehen, wie sich dies auf die Kinder auswirkt. Eine Schar Jungen spielt Krieg: Einer schießt mit einem unsichtbaren Gewehr, der andere wälzt sich im staubigen Boden. "Du bist jetzt tot", brüllen sie und laufen davon.
"Wir wollen ja nur Frieden - egal wer uns regiert", sagt eine Grundschullehrerin hinter vorgehaltener Hand. Sie will ihren Namen nicht nennen, aus Angst vor den Rebellen. "Man weiß ja nie, was geschieht, wenn man etwas Kritisches sagt", gibt sie zu Bedenken. Die 32-jährige Lehrerin unterrichtet Mathematik in der sechsten Klasse. Doch sie klagt, dass die Schüler kaum in der Lage seien, den Lektionen zu folgen. "Sie können sich nur wenig konzentrieren. Viele sind traumatisiert und können nachts nicht schlafen, weil Banditen die Gassen unsicher machen."
In den Klassenzimmern hocken Hunderte Grundschüler hungrig und müde auf den Bänken. Als die Schulglocke klingelt, schickt die Lehrerin die Schüler nach Hause. Doch die meisten bleiben sitzen. "Zu Hause wartet kein Mittagessen auf sie", erklärt die Lehrerin. Viele Väter seien Soldaten in der Regierungsarmee und entweder im Krieg gegen die M23 gefallen oder irgendwo auf der Flucht. Die Mütter seien mit den Kindern sich selbst überlassen. Da aber kein Geld im Umlauf ist, können sie nichts verdienen und damit kein Essen kaufen.
"Selbst wir bekommen seit Januar kaum unseren Lohn ausgezahlt, weil unsere Konten eingefroren sind", klagt die Lehrerin und zeigt auf ihr Mobiltelefon. Die Regierung habe zwar begonnen, die Beamtengehälter in den M23-Gebieten via mobilem Geldtransfer auszubezahlen. Doch: "Nicht alle sind im System gespeichert und für diesen Monat haben wir immer noch nichts bekommen", erklärt sie. "Wir wissen alle nicht, wie es weitergeht."
Einen Staat aus dem Nichts aufzubauen ist nicht so einfach, dessen ist sich M23-Präsident Bertrand Bisimwa bewusst. Begleitet von einem Konvoi bewaffneter Kämpfer fährt der ranghöchste Rebellenpolitiker nach der Bankeröffnung auf den Parkplatz der Migrationsbehörde, unweit der Grenze zu Ruanda. Das Gebäude ist jetzt Sitz der Rebellenregierung.
Er habe Grippe, gibt der Rebellenpräsident zu. Die Strapazen des fast dreijährigen Krieges, der enorme Arbeitsaufwand seit der Einnahme der Provinzhauptstädte Goma und Bukavu im Januar und Februar - man sieht ihm den Stress an. Ständig reist er zwischen Goma und Katars Hauptstadt Doha hin und her. Seit kurzem finden dort Sondierungsgespräche zwischen Kongos Regierung und den Rebellen statt. Katar hat sich nach dem Scheitern afrikanischer Friedensgespräche als neutraler Vermittler angeboten.
Über die Verhandlungen dürfe und wolle er nicht sprechen, betont Bisimwa. Er hat Erfahrung, seit mehr als zwölf Jahren leitet er als politischer Rebellenchef alle Gesprächsrunden mit Kongos Regierung. Bislang waren alle Treffen vergeblich. Umso wichtiger sei es nun, dass die M23 eine Art Vorzeigestaat errichte, der beweist, dass die Rebellen besser regieren können als die Regierung in Kinshasa. "Wir wollen einen Staat, der die Menschenrechte achtet, der seine Bürger respektiert und der sie versöhnt, anstatt sie zu spalten", erklärt er.
Die Eröffnung der Bank sei nun ein "interessanter Moment", damit die Bevölkerung nach dem Krieg das soziale und wirtschaftliche Leben wieder aufnehmen könne. Die Regierung sei zudem für die Unsicherheit in den Stadtrandvierteln verantwortlich, betont Bisimwa. "Kinshasa schickt den Banditen Geld, um Widerstand zu leisten, mit Waffen und Granaten." Dann steht er auf, schlingt seinen Schal enger um den Hals und macht sich auf den Weg zum Auto. Er wolle sich noch ausruhen, bevor er wieder nach Doha reisen muss. "Wir sind noch kein funktionsfähiger Staat", betont er zum Abschluss, "sondern nur eine befreite Zone".
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