125.000 Menschen kommen am 10. März 1945 qualvoll ums Leben, als die USA Brand- und Napalmbomben über Tokio abwerfen. Trotz der hohen Opferzahl wird das Ereignis von den Atomangriffen auf Japan wenige Monate später überschattet. Letzte Überlebende kämpfen um Anerkennung.
Japan erinnert an den verheerenden US-Luftangriff auf Tokio vor 80 Jahren. Das Bombardement mit konventionellen Brand- und Sprengsätzen zerstörte am 10. März 1945 das Stadtzentrum der japanischen Hauptstadt und füllte die Straßen mit Bergen verkohlter Leichen. Der Schaden ist vergleichbar mit den Atombombenabwürfen einige Monate später, doch die Ereignisse dieses Tages sind weitgehend in Vergessenheit geraten.
Jetzt erzählen die letzten Überlebenden ihre Erlebnisse von damals und bemühen sich hochbetagt, Anerkennung und finanzielle Unterstützung zu bekommen. Einige melden sich das erste Mal überhaupt zu Wort. Die 94 Jahre alte Shizuyo Takeuchi sagt, es sei ihre Aufgabe, die Geschehnisse, die sie mit 14 Jahren erlebt hat, der jüngeren Generation weiterzuerzählen. Sie spreche dabei auch für diejenigen, die das Bombeninferno nicht überlebt haben.
Nachdem die USA eine Reihe japanischer Stellungen im Pazifik erobert hatten, brach die japanische Luft- und Seeverteidigung zusammen. Dadurch konnten die B-29 Superfortress-Bomber Japans Hauptinseln relativ problemlos angreifen. Gleichzeitig wuchs in den USA die Enttäuschung über die Dauer des Krieges. Darüber hinaus wurden japanische Kriegsverbrechen wie der Todesmarsch von Bataan bekannt.
In der Nacht zum 10. März 1945 griffen Hunderte von B-29-Bombern Tokio an und warfen Streubomben mit Napalm ab, einem klebrigem Brandstoff, der die traditionellen japanischen Holz- und Papierhäuser in den überfüllten Shitamachi-Vierteln der Innenstadt zerstören sollte.
Takeuchi und ihre Eltern hatten ihr eigenes Haus schon bei einem früheren Brandbombenangriff im Februar verloren und waren bei Verwandten am Flussufer untergekommen. Ihr Vater bestand darauf, den Fluss in entgegengesetzter Richtung zu den Menschenmassen zu überqueren. Diese Entscheidung hat der Familie das Leben gerettet.
Roter Himmel und verkohlte Leichen
Takeuchi erinnert sich, dass sie unter einem rotgefärbten Himmel durch die Nacht lief. Bis heute bereiten ihr orangefarbene Sonnenuntergänge und Sirenen Unbehagen. Am nächsten Morgen sei alles verbrannt gewesen, sagt Takeuchi. Ihr Blick sei auf zwei geschwärzte Gestalten gefallen. Beim näheren Hinsehen habe sie erkannt, dass es sich bei der einen um eine verbrannte Frau handelte. Die andere, die sie zunächst für einen Klumpen Kohle gehalten habe, sei das Bay der Frau gewesen. "Ich war furchtbar schockiert. (...) Sie taten mir leid", erinnert sich Takeuchi. "Aber nachdem ich so viele andere gesehen hatte, war ich am Ende emotionslos."
Viele, die den Flammen entkamen, seien auf der Flucht in den Fluss Sumida gesprungen und ertrunken oder zerquetscht worden. Man schätzt, dass in dieser Nacht in Tokio mehr als 105.000 Menschen umkamen. Das sind deutlich mehr als beim Atombombenabwurf auf Nagasaki am 9. August 1945. Eine Million andere wurden obdachlos.
Doch die Atombombenabwürfe überschatten den Brandbombenangriff auf Tokio bis heute, und die Brandbomben auf Dutzende anderer japanischer Städte haben noch weniger Aufmerksamkeit erregt. Katsumoto Saotome hat den Bombenangriff überlebt und wurde ein preisgekrönter Schriftsteller. Er sammelte Berichte von Gleichaltrigen, um das Bewusstsein für den Tod von Zivilisten und die Bedeutung des Friedens zu schärfen. Als er 2022 im Alter von 90 Jahren starb, hinterließ er seiner Tochter ein Haus voller Notizen, Fotos und anderem Material.
Ai Saotome sagt, obwohl ihr Vater Bücher über den Brandbombenangriff auf Tokio und seine Opfer veröffentlicht habe, eröffne ihr die Durchsicht seines Rohmaterials neue Perspektiven und ein Bewusstsein für die japanische Aggression während des Krieges. Sie digitalisiert das Material im Center of the Tokyo Raids and War Damage, einem Museum, das ihr Vater 2002 eröffnete, nachdem er Aufzeichnungen über den Angriff gesammelt hatte.
Das Gefühl der Dringlichkeit, das ihr Vater und andere Überlebende hatten, werde von den jüngeren Generationen nicht geteilt, sagt Ai Saotome. "Unsere Generation weiß nicht viel über die Erfahrungen der Überlebenden, aber zumindest können wir ihre Geschichten hören und ihre Stimmen aufzeichnen", sagt sie. "Das ist die Verantwortung unserer Generation. In etwa zehn Jahren, wenn wir eine Welt haben, in der sich niemand mehr an irgendetwas erinnert, hoffe ich, dass diese Dokumente und Aufzeichnungen helfen können."
Zivile Opfer erhalten keine Entschädigung
Japanische Nachkriegsregierungen haben 60 Billionen Yen (rund 374 Milliarden Euro) Unterstützung für Militärveteranen und Hinterbliebene bereitgestellt sowie medizinische Unterstützung für Überlebende der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Die zivilen Opfer der US-Brandbombenangriffe erhielten dagegen nichts. Es gibt auch keine staatliche Stelle, die sich um überlebende Zivilisten kümmert oder ihre Unterlagen aufbewahrt. Japanische Gerichte lehnten ihre Entschädigungsforderungen in Höhe von jeweils elf Millionen Yen (rund 68.500 Euro) mit der Begründung ab, dass die Bürger in Notsituationen wie dem Krieg Leiden ertragen müssten. Eine Gruppe von Abgeordneten hat im Jahr 2020 einen Entwurf für eine einmalige Zahlung von einer halben Million Yen ausgearbeitet. Doch der Plan ist wegen des Widerstands einiger Mitglieder der Regierungspartei ins Stocken geraten.
Anfang März kam eine Gruppe von Überlebenden zusammen und erneuerte ihre Forderung an die Regierung, ihr Leid anzuerkennen und auch sie finanziell zu unterstützen. "Dieses Jahr wird unsere letzte Chance sein", sagte Yumi Yoshida, die ihre Eltern und ihre Schwester bei den Bombenangriffen verloren hat, mit Blick auf ihre Altersgenossen.
Reiko Muto lag am 10. März 1945 noch mit Schuhen und Uniform auf ihrem Bett, als die Luftschutzsirenen heulten. Sie hastete in die Kinderabteilung, wo sie als Krankenpflegeschülerin arbeitete. Weil die Aufzüge wegen des Luftangriffs außer Betrieb waren, lief sie durch das schwach beleuchtete Treppenhaus und trug Säuglinge in eine Turnhalle im Keller, wo auch sie Schutz suchte.
Bald darauf seien Lastwagenladungen voller Menschen eingetroffen, erinnert sich die 97-Jährige. Sie seien in den Keller gebracht und dort aufgereiht worden "wie Thunfische auf dem Markt". Viele hatten schwere Verbrennungen, weinten und bettelten um Wasser. Die Schreie und der Geruch von verbrannter Haut blieben Muto noch lange im Gedächtnis. Sie habe nicht viel mehr tun können, als die Menschen zu trösten, denn es habe an medizinischem Material gefehlt, sagt sie.
Als der Krieg fünf Monate später, am 15. August, zu Ende ging, dachte Muto als erstes: Keine Brandbomben mehr. Außerdem habe sie das Licht wieder anlassen können. Muto beendete ihre Ausbildung und arbeitete als Krankenschwester, um Kindern und Jugendlichen zu helfen. "Was wir durchgemacht haben, darf sich nie wiederholen", sagt die Greisin.
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