SPD-Politiker Andreas Bovenschulte, 59, ist seit 2019 Bürgermeister von Bremen und regiert das kleinste deutsche Bundesland mit einem rot-grün-roten Senat.
WELT: Herr Bovenschulte, für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass SPD und Union ihre Pläne zur Reform der Schuldenbremse und einem 500-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm trotz der ablehnenden Haltung der Grünen noch durch den Bundestag und dann durch den Bundesrat bekommen?
Andreas Bovenschulte: Ich bin ja unerschütterlicher Optimist. Es gibt in der Gesellschaft einen breiten Konsens, dass die von den Sondierern eingeschlagene Linie richtig ist. Wir brauchen für die Ertüchtigung unserer Verteidigungsfähigkeit und für die Sanierung und den Ausbau unserer Infrastrukturen finanzielle Spielräume. Das ist sowohl für die Zukunft der Bundesrepublik als auch für die Zukunft der Länder und der Kommunen von entscheidender Bedeutung.
WELT: Ist Ihnen selbst gar nicht unwohl bei dem Gedanken an diesen gigantischen Schuldenberg – als Bremer Bürgermeister wissen Sie doch, wie schwierig es ist, sich aus der Schuldenfalle zu befreien, wenn man erst einmal drinsitzt?
Bovenschulte: Schulden sind natürlich nichts, wo man sagt: Super, mehr davon! Die entscheidende Frage ist aber: Welche Investitionen brauchen wir in welcher Zeit, damit Deutschland sich angesichts der fundamental verändernden Weltlage selbst behaupten kann. Spätestens seit der zweiten Amtsübernahme von Donald Trump geht es darum, wie wir uns in militärischer, technologischer und wirtschaftlicher Hinsicht stark aufstellen. Wir brauchen eine massive Steigerung unserer Produktivität, um unser Modell des demokratischen und sozialen Rechtsstaats zukunftsfest zu machen.
WELT: Ihr Stellvertreter im Amt des Bremer Bürgermeisters, Finanzsenator Björn Fecker von den Grünen, hält die Pläne der schwarz-roten Koalition in ihrer jetzigen Form für nicht zustimmungspflichtig.
Bovenschulte: Bei der Stellungnahme, die mein Stellvertreter und zwei andere grüne stellvertretende Landeschefs geschrieben haben, handelt es sich doch nicht um eine pauschale Ablehnung der Sondierungsergebnisse. Es werden Forderungen erhoben, die Einzelpunkte betreffen, nicht die grundsätzliche Richtung. Ich finde es jedenfalls wenig überraschend, dass eine Partei, die man für eine Grundgesetzänderung braucht – hier die Grünen –, ihre eigenen Vorstellungen einbringen will.
WELT: Eine dieser Forderungen ist, dass der Anteil von Ländern und Kommunen an dem sogenannten Sondervermögen deutlich höher als 100 Milliarden ausfallen müsse. Richtig so?
Bovenschulte: Man muss sich das 500-Milliarden-Paket schon etwas genauer anschauen. Dann sieht man, dass auch von den 400 Milliarden Euro, die für Investitionen des Bundes vorgesehen sind, ein Großteil in die Länder und Kommunen fließen wird. Davon sollen Krankenhäuser, Schulen, Hochschulen, Häfen und andere Infrastrukturen profitieren, für die eben nicht der Bund, sondern die Länder und Kommunen zuständig sind. Insofern wäre meine Empfehlung, sich auf die Teilhabe der Länder an den 400 Milliarden zu konzentrieren.
WELT: Und wenn die Grünen sich weiter sträuben – würde sich Bremen bei dieser entscheidenden Weichenstellung im Bundesrat enthalten und die schwarz-roten Finanzpläne damit de facto ablehnen?
Bovenschulte: Wenn die Grünen nicht zustimmen, wird es schon im Bundestag schwierig mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Wenn diese erste Hürde überwunden ist und ein detaillierter Gesetzentwurf vorliegt, wird der Bremer Senat darüber beraten, und ich bin zuversichtlich, dass wir dann gemeinsam im Interesse Bremens entscheiden.
WELT: Was passiert, wenn die schwarz-roten Pläne im Bundestag, im Bundesrat oder auch vor dem Verfassungsgericht scheitern sollten?
Bovenschulte: Das wäre schlecht für Deutschland. Dann müssten wir ganz neu anfangen und das würde bedeuten, dass unser Land monatelang quasi handlungsunfähig wäre. Und das in einer internationalen Lage, die das genaue Gegenteil erfordert. Was wir jetzt brauchen, ist Entschlossenheit und Kooperation, um die neuen Grundlinien unserer Politik schnell zu definieren und durchzusetzen.
WELT: An welcher Stelle würden Sie den Grünen bei Verhandlungen entgegenkommen?
Bovenschulte: Ich kann schon verstehen, dass die Grünen wollen, dass Klimaschutz-Maßnahmen auch explizit in die Planungen aufgenommen werden. Auf der anderen Seite sind die bisher genannten Investitionen – sei es in den Wohnungsbau, in den Verkehrssektor oder in die Wirtschaft – ja zwangsläufig auch Klimaschutz-Investitionen. Da steckt ja schon jetzt ganz viel Dekarbonisierung und Transformation mit drin.
WELT: In welche Projekte sollte der Bremer Anteil an den Infrastruktur-Milliarden fließen?
Bovenschulte: Erst einmal müssen wir abwarten, welche Summe unter dem Strich herauskommt und wie die Details aussehen. Wir handeln in Bremen nicht mit ungelegten Eiern. Aber es ist ja bekannt, dass wir großen Bedarf bei der Bildung, bei der Verkehrsinfrastruktur, in der Wissenschaft und bei den Häfen sehen.
WELT: Der Ausbau und Modernisierung der deutschen Seehäfen, den die norddeutschen Bundesländer regelmäßig fordern, wird in dem Sondierungspapier mit keinem Wort erwähnt. Hat der Norden bei Schwarz-Rot keine Lobby?
Bovenschulte: Union und SPD haben sich beide grundsätzlich für eine nationale Hafenstrategie ausgesprochen, da sind wir uns völlig einig. Aber in dem knappen Sondierungspapier sind viele wichtige Bereiche ausgeklammert, weil sie für die Frage der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen nicht entscheidend sind. Chemieindustrie oder Luft- und Raumfahrt etwa kommen ebenfalls nicht vor – sind aber natürlich trotzdem zentrale Säulen unserer Volkswirtschaft. Das hat auch unser Parteivorsitzender Lars Klingbeil klargemacht.
Lesen Sie hier das schwarz-rote Sondierungspapier im Wortlaut
WELT: CSU-Chef Markus Söder hat schon angekündigt, dass eine von seiner Partei gestützte Bundesregierung dem Norden ein paar Privilegien abknöpfen will – wie wollen Sie angesichts der neuen Machtverteilung im Bund dagegenhalten?
Bovenschulte: Die deutschen Häfen sind doch kein norddeutsches Thema. Sie sind von nationaler Bedeutung, das haben uns die vergangenen Jahre gelehrt. Der Süden würde kein einziges Auto exportieren, wenn es die Häfen nicht gäbe, die Maschinenbauer keine einzige Anlage. Und für unsere Verteidigung brauchen wir sie sowieso.
Aber Häfen sind sehr aufwendig im Unterhalt und kosten viel mehr, als die Hafengebühren einbringen. Darüber werden wir in den Gesprächen zu reden haben. Und um mit einem Märchen aufzuräumen: Die Ampel hat den Süden nicht stiefmütterlich behandelt. Ein Blick auf die Fördermittel und Investitionen des Bundes zeigt, dass das nicht den Tatsachen entspricht.
WELT: Bei den laufenden Einnahmen und Ausgaben will Schwarz-Rot nicht so großzügig mit den Ländern umgehen. Die zahlreichen angekündigten Steuersenkungen werden ein weiteres großes Loch in die Bremer Kassen reißen. Wie wollen Sie das ausgleichen?
Bovenschulte: Wir werden ganz sicher darüber diskutieren müssen, wo eine Entlastung wirklich geboten ist. Denn es darf nicht sein, dass der neue Spielraum für Länder und Kommen durch die Steuersenkungen gleich wieder aufgefressen wird. Um es konkret zu machen: Entlastungen für untere und mittlere Einkommen sind richtig. Was wir aber nicht brauchen, sind Steuergeschenke für Wohlhabende, die 250.000 Euro und mehr im Jahr verdienen.
WELT: Laut Sondierungspapier soll es Steuererleichterungen für die Gastronomie geben, Subventionen für die Landwirte, Steuererleichterung für Unternehmen, auch für die Mittelschicht. Wofür würden Sie lieber kein Geld ausgeben?
Bovenschulte: Wir müssen uns aus meiner Sicht intensiv über die Gegenfinanzierung der Vorschläge unterhalten, auch wenn davon im Sondierungspapier nicht die Rede ist. Es wird sicher schwer, mit der Union über die Erbschaftssteuer zu sprechen. Auch die Abgeltungssteuer auf Zinseinkünfte ist ein dickes Brett.
Aber ich halte es für sinnvoll, Menschen stärker in die Pflicht zu nehmen, die Geld in Millionenhöhe anlegen und dafür ordentlich Zinsen kassieren. Selbst Zinserträge von Schwerreichen werden bei uns nur mit 25 Prozent besteuert – das ist ein Skandal des deutschen Steuerrechts. Schon die letzte große Koalition wollte das ändern und hatte eine entsprechende Reform im Koalitionsvertrag verankert, daran könnten wir uns orientieren.
WELT: Was gefällt Ihnen besonders gut an dem Sondierungspapier?
Bovenschulte: Sehr gut finde ich, dass der Bund Investitionen für technologischen Fortschritt und Infrastruktur mobilisieren will. Mein sozialdemokratisches Herz schlägt auch höher bei 15-Euro-Mindestlohn und der Sicherung des Rentenniveaus, bei der Mietpreisbremse und beim Bundestariftreuegesetz.
WELT: Und welche Punkte gefallen Ihnen gar nicht?
Bovenschulte: Die Union ist nach dieser Bundestagswahl der größere Partner, die SPD der kleinere – deshalb gibt es natürlich auch Punkte, die anstrengend sind. Vor allem beim Staatsangehörigkeitsrecht wird das völlig falsche Signal gesetzt. Es ist ja wahrscheinlich verfassungswidrig, Doppelstaatlern den deutschen Pass zu entziehen.
Aber davon einmal abgesehen: Auch wenn im Papier ausdrücklich nur von Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten die Rede ist, geht doch eine sehr problematische Botschaft an mehr als fünf Millionen Menschen in unserem Land, die zwei Pässe haben. Und die lautet: Ihr könnt euch nie sicher, dass ihr hier wirklich dazugehört. Ich finde das fatal.
Korrespondent Philipp Woldin kümmert sich bei WELT vor allem um Themen der inneren Sicherheit und berichtet aus den Gerichtssälen der Republik.
Korrespondent Ulrich Exner berichtet vor allem aus den norddeutschen Bundesländern.
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