Im Streit zwischen Union und SPD über die Auslegung der gemeinsamen Sondierungsvereinbarungen zur Asyl- und Migrationspolitik hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Verhandler der Union in einer internen Sitzung einem Bericht zufolge scharf kritisiert. „Ich sag's Euch wie es ist: Diese Gesprächspartner waren die mit Abstand unangenehmsten. Humanität und Verantwortung für andere Menschen? Null komma null“, sagte Pistorius nach Informationen des „Stern“ am Montag in der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion.
Der Minister soll dabei namentlich zwei der Top-Verhandler der Union, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und den Parlamentarischen Geschäftsführer Thorsten Frei, genannt haben. „Ich sage es Euch: Dobrindt und Frei, sie sind wirklich unangenehm. Sie haben kein Gewissen“, sagte Pistorius demnach. Dem Magazin lag ein Protokoll der Sitzung vor, außerdem bestätigen Teilnehmer dem „Stern“ die Aussagen.
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Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche zum Thema Asyl habe Pistorius verteidigt. Man habe die schlimmsten Sätze aus dem Sondierungspapier „rausgekegelt“, berichtete er vor der Fraktion. Zwar habe die Union erreicht, dass der Begriff der Begrenzung wieder ins Aufenthaltsgesetz aufgenommen werden soll, dabei handelt es sich laut Pistorius jedoch um ein „Placebo“. „Das hat null Wirkung. Gar keine.“ Gemessen am 16-Prozent-Wahlergebnis der Sozialdemokraten hätten die SPD-Verhandler herausragende Erfolge erzielt. „Wir haben sie nicht eine Sekunde in unseren Vorgarten gelassen.“
Die Union hatte im Wahlkampf eine Verschärfung der Migrationspolitik und eine Verringerung der Zuzugszahlen in Aussicht gestellt. In ihrem am Samstag veröffentlichten Sondierungspapier, das die Grundlage für Koalitionsverhandlungen bilden soll, hatten Union und SPD unter anderem vereinbart, dass eine „Begrenzung“ der Einwanderung als Ziel ins Aufenthaltsgesetz geschrieben werden soll. Allerdings ist zwischen den Verhandlern ein Streit über die Auslegung der gemeinsamen Sondierungsvereinbarungen zur Migrationspolitik entbrannt – vor allem bei der Zurückweisung an den Grenzen.
An den Landgrenzen sollen künftig auch Menschen zurückgewiesen werden, die ein Asylgesuch stellen – allerdings nur „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“. Ob Abstimmung dabei meint, dies im Einvernehmen mit den Ländern oder möglicherweise auch bei Uneinigkeit durchzusetzen, ist offen.
Juso-Chef Türmer droht mit Absage an Große Koalition
Der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer ist verärgert über das Sondierungsergebnis. Er droht mit Ablehnung des Koalitionsvertrages, sollte seine Partei in den Verhandlungen keine substanziellen Verbesserungen erreichen. In den Bereichen Arbeit, Soziales und Migration seien Punkte enthalten, „die ich aus tiefster Überzeugung ablehnen muss“, sagte Türmer dem „Stern“. „Ich könnte einem Koalitionsvertrag mit diesem Inhalt so nicht zustimmen.“
Insgesamt müsse das ganze Paket besser werden, sagte der Juso-Chef mit Verweis auf das Sondierungspapier. Sonst werde es mit der Unterstützung der Jusos „sehr schwierig“.
Von den Sondierungsergebnissen im Bereich Asyl und Migration sei er „schlichtweg erschüttert“, sagte Türmer. „Massive Abschiebungen unter anderem nach Syrien, wo nach aktuellen Berichten gerade 300 alawitische Zivilisten ermordet wurden, das verletzt ganz klar menschenrechtliche Mindeststandards.“ Vereinbarungen wie die zu Zurückweisungen an den Grenzen kritisierte Türmer als „weder humanitär noch aus europäischer Perspektive akzeptabel“.
„Fassungslos“ mache ihn zudem die Überlegung, Doppelstaatlern unter bestimmten Voraussetzungen die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Damit werde „ein verfassungswidriger Weg beschrieben und eine rote Linie überschritten“, sagte der Juso-Chef. „Das ist ein absoluter Dealbreaker, der für uns nicht tragbar sein darf.“
Auch in den Bereichen Arbeit und Soziales werde die SPD-Führung nachbessern müssen, sagte Türmer weiter. „Noch ist es zwar ein Sondierungs- und kein Koalitionspapier, aber viele sozialdemokratische Ideale scheinen meinem Empfinden nach gerade ordentlich zu wackeln.“
Türmer forderte angesichts der Streitfragen harte Verhandlungen ohne Einigungszwang. „In diesem Sondierungspapier stehen viele Punkte, die für eine sozialdemokratische Partei nicht vertretbar sind“, argumentierte er.
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