Fünf Monate ist es her, dass die Österreicher gewählt haben. Seitdem warten sie auf einen neuen Kanzler und ein neues Kabinett. Zwei Anläufe zur Regierungsbildung sind gescheitert – der erste im Versuch, die Rechtsaußenpartei FPÖ fernzuhalten, der letzte unter Führung ebendieser Partei.

Nun scheint es eine Lösung zu geben, und zwar ohne Neuwahlen: Am Donnerstag präsentierten die Konservativen (ÖVP), die Sozialdemokraten (SPÖ) und die Liberalen (Neos) eine Koalitionsvereinbarung. Titel des 200 Seiten starken Arbeitsprogramms: „Jetzt das Richtige tun. Für Österreich“. Eine Dreierkoalition wäre ein Novum in der österreichischen Geschichte.

Die Parteien müssen die Vereinbarung noch intern absegnen. Bei der ÖVP dürfte das kein Problem werden. Bei der SPÖ gab es zuletzt Lager-Kämpfe um die Besetzung von Posten, am Freitag tagt der Parteivorstand. Bei den Neos findet am Sonntag eine Mitgliederbefragung statt. Laut Parteistatuten müssen zwei Drittel der Neos-Mitglieder dem Eintritt der Partei in eine Regierung zustimmen – eine recht hohe Hürde. Und es gibt Widerstände an der Basis.

Stimmen tatsächlich alle Parteien zu, könnte das neue Kabinett bereits am kommenden Montag die Arbeit aufnehmen. Der Weg bis zu diesem Punkt war steinig, gepflastert mit Polemik und verbalen Angriffen zwischen den Parteien sowie Appellen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen (parteilos) zu Kompromissen.

ÖVP, SPÖ und Neos hatten bereits direkt nach der Wahl miteinander über die Bildung einer Regierung verhandelt. Erfolglos. Danach hat die ÖVP versucht, mit der in Teilen rechtsextremen FPÖ unter Kanzlerkandidat Herbert Kickl eine Regierung zu bilden – ebenfalls erfolglos.

ÖVP, SPÖ und Neos betonen in ihrem gemeinsamen Programm „Konsens und Pragmatismus“. Die Ausgangslage könnte schwieriger kaum sein. Im Haushalt klafft ein gigantisches Loch (Einsparungsbedarf 18 bis 24 Milliarden Euro), die Wirtschaft stagniert – und das nicht nur aufgrund der internationalen Rahmenbedingen, sondern auch aufgrund von Standortproblemen. Zudem ist die FPÖ die stärkste Partei im Parlament, das dürfte sich auch auf die Politik der Koalition auswirken.

Sichtbarer Einfluss der FPÖ

So steht ganz oben auf deren Prioritätenliste wenig überraschend das Thema Migration. Angekündigt werden harte Maßnahmen: Der Familiennachzug soll zumindest vorübergehend gestoppt, ein Kopftuchverbot für Minderjährige sowie ein verpflichtendes Integrationsjahr bei zugleich reduzierten Sozialleistungen eingeführt werden.

Weitere Kernpunkte sind Fragen des Mietrechts, der Pensionsfinanzierung und der Regelungen für Arbeitslose. Beim Haushalt will man den zwischen ÖVP und FPÖ ausverhandelten und zur Verhinderung eines EU-Budget-Defizitverfahrens in Brüssel eingereichten Budgetentwurf beibehalten.

Auch das Bekenntnis Österreichs zum europäischen Luftraum-Schutz Skyshield und zur Europäischen Union soll bleiben. Das Außenministerium sollen die dezidiert pro-europäischen Neos übernehmen. Das könnte bedeuten, dass Österreich eine lange verweigerte politische Debatte über die Neutralität des Landes bevorsteht.

Bei der Präsentation des Regierungsprogramms sagte der wohl künftige Kanzler und ÖVP-Chef Christian Stocker, in dem Regierungsvorhaben seien die „Vorstellungen der Parteien in einem gemeinsamen Programm vereint“ worden. Das klingt nach Konsens und Kompromiss.

Aber diese Regierungsbildung stand unter dem intensiven Zureden und wohl auch Druck von Bundespräsident Van der Bellen. Sollte die Regierung tatsächlich zustande kommen, muss sie sich in der Praxis bewähren. Und die vergangenen Monate und Jahre haben gezeigt, dass in Österreichs politischer Kultur oft die Polemik über das Argument und die populistische Parole über die naheliegende Lösung gesiegt haben.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke