Es geht um Käse, Geflügel, Schweinefleisch. Auch auf Nudeln, Äpfel, Konfitüren und Marmeladen sowie Schokolade und Wein sollen die Zölle um bis zu 100 Prozent reduziert werden. „Dieser wegweisende Deal beweist, dass ein offener, regelbasierter Handel für unseren Wohlstand und unsere wirtschaftliche Sicherheit sowie für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung sorgen kann“, sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde Anfang des Monats die Modernisierung des EU-Mexiko-Freihandelsabkommens abgeschlossen. Dabei ist der Warenhandel im Volumen von 82 Milliarden Euro zwischen beiden Handelspartnern keineswegs eine zu vernachlässigende Größe. Neben der Aktualisierung des Freihandels zwischen EU und Mexiko hatte es unmittelbar vor dem Jahreswechsel noch einem zweiten richtungsweisenden Durchbruch gegeben hin zu mehr Kooperation zwischen Europa und Lateinamerika.
Nach mehr als 20 Jahren wurde der EU-Mercosur-Freihandelsvertrag abschließend ausgehandelt. Gelingt nun noch die Ratifizierung trotz des Widerstandes aus Frankreich und anderen EU-Ländern, entsteht ein Handelsraum für 30 europäische und südamerikanische Länder. Der Zeitpunkt für eine Einigung wäre günstig – schließlich droht der EU ein Handelsstreit mit ihrem wichtigsten Handelspartner.
Immer wieder hatte US-Präsident Donald Trump mit Strafzöllen gedroht, zuletzt bekräftigte er den Plan in seiner ersten Kabinettssitzung am Mittwoch. „Es werden 25 Prozent sein, allgemein gesprochen, und zwar für Autos und alle anderen Dinge“, sagte Trump. Die Antwort der EU kam prompt: „Europa wird reagieren, sofort und entschlossen“, schrieb der für Industrie und den Binnenmarkt zuständige EU-Kommissionsvize Stéphane Séjourné auf X.
Mit dem Mercosur-Abkommen steht eine handelspolitische Alternative in den Startlöchern, die für beide Seiten großes Potenzial verspricht. In Südamerika sind derzeit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay beteiligt, Bolivien befindet sich im Prozess der Eingliederung. Gemeinsam mit den europäischen Staaten bringen sie 718 Millionen Einwohner und ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 22 Billionen US-Dollar auf die politische Waage.
Mittelfristig könnte damit ein Schulterschluss zwischen „alter“ und „neuer“ Welt, zwischen Europa und Lateinamerika entstehen. Auf Augenhöhe und nicht wie zu jener Zeit, als diese Beschreibungen noch ein Machtgefälle zwischen beiden Welten darstellen und die Europäer vergleichsweise desinteressiert auf Lateinamerika herabschauten.
„Die Unterzeichnung dieser Abkommen sendet eine Botschaft aus, die über die bi-regionalen Beziehungen hinausgeht und sich für Handelsbeziehungen einsetzt, die auf Regeln und gegenseitigem Nutzen beruhen, anstatt auf der Zwangs- und Drohsprache der Großmacht“ kommentiert die spanische Denkfabrik Barcelona Centre for International Affairs (CIDOB) das Zusammenwachsen. „Angesichts des Handelsstreits zwischen den Vereinigten Staaten und China öffnen sich beide Regionen einer stärkeren Diversifizierung, die ihre Verwundbarkeit verringert.“
In Südamerika mit seinem volkswirtschaftlichen Schwergewicht Brasilien und einem sich langsam erholenden Argentinien sehen Experten große Chancen für einen gemeinsamen Weg. „Heute sprechen wir über Partnerschaften. Wenn Sie sich diese Agenda ansehen, bietet Brasilien heute mit dem Mercosur eine Agenda, in der europäische Unternehmen bereits tätig sind“, sagt der deutsch-brasilianische Unternehmer und Wirtschaftsberater Ingo Plöger im Gespräch mit WELT.
Natürlich werde die Europäische Union auch bestimmte Märkte für den Mercosur öffnen müssen, die seit mehr als 50 Jahren verschlossen seien, auf der anderen Seite mache Lateinamerika Fortschritte bei der Industrialisierung. „Wir haben also viel mehr zu kooperieren als zu konkurrieren, und genau darin liegt die Herausforderung, dies zu visualisieren“, sagt Plöger.
Europa könnte vier Milliarden Euro sparen
Nach einer Schätzung des Nationalen Industrieverbands (CNI) gewähren Brasiliens Partner derzeit nur einen Zugang zu etwa acht Prozent der weltweiten Wareneinfuhren. Nach einem Abkommen mit der EU würde sich der Zugang auf 37 Prozent vervielfachen. Das Abkommen ist für Brasilien eine Eintrittskarte auf den Weltmarkt, Europa wiederum hätte Zugang zu einem wachsenden industriellen Sektor, in den immer mehr Investitionen fließen. Für eine Maschinenbau-Nation wie Deutschland eine beachtenswerte Entwicklung.
Für Euphorie bestehe allerdings auf beiden Seiten noch kein Anlass, sagt Ökonom Gilvan Bueno, der für „CNN Money“ in Brasilien wirtschaftlich Entwicklungen kommentiert. „Das Aushandeln des Vertrages hat 20 Jahre gedauert“, sagt Bueno im Gespräch mit WELT und verweist auf Handelsbeschränkungen, die nicht so leicht innerhalb von ein oder zwei Jahren verschwinden würden.
Damit das Abkommen Realität wird, muss aber vor allem den europäischen Landwirten etwas geboten werden, die sich auf einen Wettbewerb mit einer hocheffizienten und hochmodernen Landwirtschaft aus Brasilien und Argentinien einlassen müssen. Die Europäische Kommission habe in Rekordzeit eine Zusammenfassung der Vorteile des Abkommens erstellt, schreibt das CIDOB.
Für spanische, französische und italienische Landwirte würden die Zölle für Olivenöl (derzeit 10 Prozent), Käse (28 Prozent) oder Wein, für den derzeit Zölle von bis zu 35 Prozent gelten, auf null gesenkt. Nach Angaben der Europäischen Kommission könnten die europäischen Unternehmen, die in den Mercosur-Raum exportieren, jährlich vier Milliarden Euro an Zöllen einsparen. Es wäre also das genaue Gegenteil der protektionistischen Politik der USA.
Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.
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