Unter einem Zeltdach sitzen Hunderte weiße Südafrikaner und zeigen, wo sie ihre Zukunft sehen. Nicht in den USA, wo ihnen Präsident Donald Trump Asyl angeboten hat. Sondern hier, in ihrem Ort Orania. In der Mitte Südafrikas. Am Fuße eines Hügels feiern die Bürger den Jahrestag eines Sieges in den Burenkriegen gegen die Briten. Sie stimmen eine Hymne an. „Gott ruft uns zusammen zu Ehren seines großen Namens“, schmettern sie, „ein freies Volk ist aufgestanden auf dem Weg nach Orania.“
Auf den ersten Blick ist es ein Farmer-Städtchen wie so viele. 3000 Einwohner, eine Hauptstraße, verschlafene Geschäfte. Doch Orania ist seit seiner Gründung im Jahr 1991 ein Politikum. Dort dürfen ausschließlich „Buren“ leben. Nachfahren der weißen Siedler aus den Niederlanden, Frankreich und Deutschland, die sich einst in Südafrika niederließen.
Das macht sie zur Zielgruppe für Trumps Narrativ der von Zeitgeist und Gesetzen unterdrückten Weißen. „Die Vereinigten Staaten werden einen Plan erstellen zur Umsiedlung benachteiligter Minderheiten in Südafrika, die aufgrund ihrer Rasse diskriminiert werden“, hatte der US-Präsident verkündet.
Seitdem ist Trumps Angebot hier Gesprächsthema. Vor allem für Joost Strydom, 32, den PR-Mann des Ortes. Sein Handy klingelt weit öfter als sonst. „Wir sind Trump dankbar, dass er uns als Volk genannt und damit ein Stück weit Anerkennung verschafft hat“, sagt Strydom. 142 rassenbasierte Gesetze gebe es aktuell, die Weißen würden „systematisch“ bei der Besetzung von Arbeitsplätzen benachteiligt. Die Zahl der Schulen, in denen Afrikaans gesprochen werde, sinke. Eine im Januar in Kraft getretene Verordnung erleichtere die Enteignung weißer Farmer.
Höheres Einkommen, geringere Arbeitslosigkeit
Es ist unklar, wie viele weiße Südafrikaner so denken. In der letzten Umfrage dieser Art aus dem Jahr 2019 sagten nur zwölf Prozent der fünf Millionen Weißen, sie fühlten sich diskriminiert. Sie haben ein mehrfach höheres Durchschnittseinkommen als die Schwarzen, sind seltener arbeitslos. Es ist aber möglich, dass Umfragen inzwischen negativer ausfallen würden, seit die Regierung umstrittene Gesetze durchdrückte.
In Orania jedenfalls ist der Anteil der Skeptiker höher. Aber Strydom kenne niemanden, der einen Umzug in die USA plane. „Meine Vorfahren waren schon 100 Jahre in Südafrika, bevor die USA überhaupt unabhängig wurden“, sagt er, „ich gehöre hier nach Orania – ich möchte kein Flüchtling sein.“
Gerade die Älteren fürchten, dass ihre Kinder in den USA die Kultur der Buren verlieren würden. Einer erzählt, dass es allerdings schon länger junge weiße Südafrikaner gebe, die als Saisonarbeiter in die USA gehen würden. „Für die wird es jetzt leichter.“
Aus der US-Botschaft in Pretoria heißt es, man habe zur Zahl der Antragssteller „nichts mitzuteilen“. Zur Frage der Umsiedlungen arbeite man an „Umsetzungsdetails“. Als Basis für eine langfristige Lebensplanung taugt das nicht.
In Orania wollen sie ohnehin ihr Ding durchziehen. Noch während der Apartheid kauften die Gründer die verlassene Siedlung vom Staat. Wer hierhin zog, wurde erst auch von Buren verspottet. Das also sei das Traumland, hieß es damals in einer Zeitungskarikatur, in der die ersten „Oranians“ in einer trostlosen Wüstenlandschaft gezeigt wurden.
Ein Bewohner hat die Karikatur in sein Büro gehängt, als Statement des Triumphs. Die Stadt wächst um zehn Prozent jährlich. So rückwärtsgewandt die Weltsicht auch sein mag, so innovativ sind die Bewohner in anderen Fragen. Vor Gericht erstritten sie die Klassifizierung als Gemeinde, können lokale Steuern eintreiben.
Die werden in Solar-Anlagen investiert, man will sich unabhängig vom maroden Stromkonzern Eskom machen. Sogar eine eigene Währung wurde eingeführt, der „Ora“. So kurbele man den Handel innerhalb von Orania an.
Zuletzt empfing man schwarze Delegationen aus dem Ostkap, die ausgerechnet die Weißen in der Landfrage um Rat baten. Lukrative Landstriche ihrer Provinz gehören dem Staat. Die lokalen Chiefs dürfen das Land zwar verwalten, aber nicht entwickeln. Selbst der berüchtigste linksradikale Politiker des Landes zeigte sich bei einem Besuch überrascht. Julius Malema stimmt auch mal das Lied „Tötet den Buren“ an. Er habe erwartet, von bewaffneten Buren aufgehalten zu werden, sagte er – nachdem er freundlich empfangen worden war.
Strydom erzählt, dass es oft ein simpler Fakt sei, der Leuten wie Malema den Wind aus den Segeln nehme. „In Orania wird keine einzige Toilette von Schwarzen geputzt“, sagt er. In dem Ort sehen sie die Ausbeutung dieser Ethnien für billige Arbeitskraft als einen Kardinalfehler der Apartheid an. Der Ort ist wohl der einzige des Landes, an dem Weiße den Zapfhahn der Tankstelle bedienen und im Supermarkt die Waren einpacken.
Doch wer länger als vier Wochen bleiben will, muss vor einem Bürgerausschuss das „Recht auf Anwohnerschaft“ erlangen. Abgefragt werden Afrikaans, Religiosität, konservatives Familienbild. Mit Rassismus habe das nichts zu tun, behauptet Strydom, „wir machen hier keine DNA-Tests“. Es gehe in Orania, so erklärt er, um die gemeinsamen Ursprünge. Damit sind natürlich Nachfahren der weißen Siedler gemeint.
Es kann dauern, bis man auf der Hauptstraße Menschen mit dunkler Hautfarbe trifft. Nach einer Stunde parkt ein Kurierfahrer. „Alles ist ok“, sagt er, „die Leute sind freundlich zu mir.“ Ähnlich äußert sich eine Arbeiterin einer Farm, die zum Einkauf nach Orania kommt. Aber als Nachbarn bleiben sie unerwünscht.
Damit bleibt Orania ein Symbol für die schmerzhafte Geschichte des Landes. Für den dunkelhäutigen Tankwart einer benachbarten Ortschaft etwa. „Wir haben bei uns Weiße, die in unserer Mitte leben, wir heißen sie willkommen“, sagt er aufgebracht. „Glaubst du, dass ich als Bewohner in Orania willkommen wäre? Natürlich nicht.“
Ein Grund für seine Abneigung ist auch das Eckhaus in einer Seitenstraße. Es gehörte einst der Witwe des damaligen Premierministers Hendrik Verwoerd. Heute ist es ein Museum für Verwoerd, der in den 1950er- und 1960er-Jahren die Gesetze der Rassentrennung derart rigoros durchgesetzt hatte, dass er als „Architekt der Apartheid“ gilt.
Als wäre Nelson Mandela nie dort gewesen
Ein Museumsführer schließt die Tür auf. Er sei kontrovers gewesen, gibt er zu, „aber auch für viele bis heute ein Held“. Für die Rassentrennung seien ja eher die Briten verantwortlich gewesen, verirrt sich der Mann in Geschichtsdeutungen.
In dem Wohnzimmer des Hauses saß einst Nelson Mandela. 1995 besuchte er die Verwoerd-Witwe. Man trank Tee, aß das Buren-Gebäck Koeksisters. Es war eine von Mandelas Gesten der Versöhnung gegenüber den Unterdrückern. Ein Foto des Treffens sucht man in dem Museum vergeblich.
Christian Putsch ist Afrika-Korrespondent. Er hat im Auftrag von WELT seit dem Jahr 2009 aus über 30 Ländern dieses geopolitisch zunehmend bedeutenden Kontinents berichtet.
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