Präsident Trump sieht in der EU eher einen Konkurrenten als einen Verbündeten der USA. Höchste Zeit für Brüssel, sich aus der militärischen Abhängigkeit von Washington zu lösen. Aber der Weg zur eigenen Verteidigung gegen den russischen Aggressor ist steinig.
Die Europäische Union muss sich rundum erneuern. Ein Friedensprojekt kann sie nur bleiben, wenn sie sich bewaffnet, um Russland im Ernstfall Paroli zu bieten. In den europäischen Verträgen war so etwas aber nie vorgesehen - sie verbieten sogar ausdrücklich, Geld direkt aus dem EU-Haushalt in die Rüstung zu stecken. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen setzt deshalb vor allem auf die Mitgliedstaaten, um 800 Milliarden für die "Wiederbewaffnung" Europas aufzutreiben.
Doch von der Leyen plant auch Projekte, um Waffenkäufe europäisch zu organisieren. 150 Milliarden Euro steckt die EU dafür in einen neuen Verteidigungsfonds für die gemeinsame Rüstungsbeschaffung. Der Trick: Durch den Fonds wird ein separater Topf geschaffen, der nicht zum regulären Haushalt gehört. Es ist der erste Schritt hin zu einem Binnenmarkt für Rüstungsgüter, den die EU schnellstmöglich aufbauen muss. Falls sie daran scheitert, steht ihre Zukunft auf dem Spiel.
Im Weißen Haus sitzt jetzt ein Mann, der die EU als einen Intimfeind der Vereinigten Staaten ansieht. "US-Präsident Donald Trump und seine Gefolgsleute sind der irrigen Auffassung, die Europäische Union sei errichtet worden, um den USA zu schaden", sagt David McAllister, Vorsitzender des EU-Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, im Gespräch mit ntv.de. Vor allem das Handelsbilanzdefizit beim Warenverkehr zwischen den USA und der EU sei Trump ein Dorn im Auge. Zudem missfielen ihm die niedrigen Verteidigungsausgaben einiger europäischer Mitgliedstaaten. Der US-Präsident werde die Europäer nur ernst nehmen, falls sie ihm geschlossen und entschlossen konkrete Angebote unterbreiten. "Dafür muss die EU das nötige Selbstbewusstsein zeigen. Wirtschaftspolitisch können wir das aufgrund unseres gemeinsamen Binnenmarkts ohne Weiteres, sicherheitspolitisch haben wir Nachholbedarf", sagt McAllister.
Bislang gibt es mehr als ein Dutzend verschiedene Kampfpanzertypen
Seit Jahren gibt es bereits die Idee, die EU zu einer Verteidigungsunion zu entwickeln. Doch die Stimmen, die sie forderten, vor allem in Nord- und Osteuropa, konnten sich in Brüssel kaum Gehör verschaffen. Zu bequem war der Verlass auf den sicherheitspolitischen Schutzschirm, den die USA über dem alten Kontinent aufspannten. Und jede mögliche Provokation des russischen Präsidenten Wladimir Putin wurde gemieden – insbesondere von Ländern wie Deutschland, die ihre Wirtschaft durch seine billigen Energielieferungen ankurbelten.
Nun rächen sich die Versäumnisse. Einen Binnenmarkt für Rüstungsgüter gibt es noch nicht. Ihn aufzubauen, ist von der Leyens Ziel bei den Verteidigungsplänen. Aber zwischen den Unternehmen der jeweiligen Länder herrscht bislang ein erbitterter Konkurrenzkampf. Praktisch wäre etwa ein Kampfpanzer, den die Europäer gemeinsam produzieren; bislang gibt es mehr als ein Dutzend verschiedene Typen.
Es gibt mehrere europäische Militärprojekte, die für die EU-Kommission jetzt Priorität haben:
- ein gemeinsamer Luftverteidigungsschild
- ein europäischer Cyber-Schild
- die maritime Bereichsaufklärung / Aufklärung zur See
- die Weltraumbereichsaufklärung / Aufklärung im All
- Bevorratung von Munition und Raketen
- militärische Mobilität durch die Schaffung von Infrastruktur
- Abwehr von chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Kampfstoffen / Waffen
EU-Schuldenregeln sollen ausgesetzt werden
"Bessere gemeinsame Investitionen innerhalb der EU würden zwischen 24,5 und 75,5 Milliarden Euro pro Jahr einsparen", sagt McAllister. Noch leide die europäische Verteidigung unter Fragmentierung, Doppelarbeit und Unterinvestitionen. Vor Kurzem war noch kaum Geld vorhanden. Als Verteidigungskommissar Andrius Kubilius vergangenes Jahr seinen neu geschaffenen Posten antrat, war sein Etat überschaubar. Das soll sich durch von der Leyens Plan für die "Wiederbewaffnung" ändern. Denn allein die Vereinheitlichung der technischen Standards der verschiedenen europäischen Rüstungsgüter ist eine Mammutaufgabe.
Neben dem Verteidigungsfonds plant von der Leyen verschiedene Anreize, die Mitgliedstaaten dazu antreiben sollen, mehr in ihre Verteidigung zu investieren. Die EU-Schuldenregeln sollen ausgesetzt werden. Der Pakt begrenzt die Neuverschuldung eines jeden EU-Landes eigentlich auf 3 Prozent und den Schuldenstand auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Zudem sollen die Mitgliedstaaten entscheiden, ob sie die ihnen zugeteilten Mittel aus dem EU-Haushalt umwidmen, etwa Gelder aus der Regionalförderung. Während Waffenkäufe nicht direkt aus dem EU-Haushalt finanziert werden dürfen, gilt das nicht für Projekte wie zum Beispiel den Aufbau einer Infrastruktur für die Rüstungsindustrie. Des Weiteren soll die Europäische Investitionsbank mehr Kredite vergeben, von der die Rüstungsindustrie profitieren kann.
Zwar befürworten viele Abgeordnete des Europäischen Parlaments die ersten Schritte hin zur Verteidigungsunion. Allerdings gibt es heftige Kritik an der Art und Weise, wie über die Vergabe der Mittel aus dem Verteidigungsfonds bestimmt werden. So bemängelt Monika Hohlmeier, stellvertretende Vorsitzende des EU-Haushaltsausschusses, das Parlament werde voraussichtlich nicht mitbestimmen können, wie das Geld investiert wird. "Da Kommission und Rat planen, eine Verordnung nach Artikel 122 vorzulegen, bedeutet dies, dass wir mit dem Europäischen Budget für rein nationale Verteidigungsausgaben bürgen und als Europäisches Parlament nicht in die strategische Ausrichtung der Programme eingebunden sind und auch keine demokratische Kontrolle ausüben können", sagt Hohlmeier im Gespräch mit ntv.de.
Europäer hinken technischem Knowhow in den USA hinterher
Bislang sehen die Pläne der Kommission vor, aus dem Fonds nur Projekte zu finanzieren, an denen mindestens drei Nationen beteiligt sind. Hohlmeier fordert, es sollten ausschließlich europäische Mitgliedstaaten profitieren, um "die Abhängigkeit und Erpressbarkeit durch Drittstaaten so schnell wie möglich zu reduzieren". Bislang sind viele Länder vor allem von einem Waffenlieferanten abhängig: der Rüstungsindustrie der Vereinigten Staaten. Würde die EU aus dem Fonds vornehmlich Projekte mit US-Beteiligung finanzieren, begäbe sie sich wieder in die Abhängigkeit von Trumps Regierung. Das Problem: Dem technischen Knowhow in den USA hinken die Europäer noch weit hinterher.
Derzeit plant Brüssel, Trump das Angebot zu unterbreiten, mehr Waffen aus den USA zu kaufen. Ziel ist, den Zollstreit mit Washington, der momentan an Fahrt aufnimmt, durch einen Deal zu deeskalieren. Ein solches Angebot sieht Bernd Lange, Vorsitzender des EU-Handelsausschusses, kritisch. "Wir wissen, dass die Software für US-Kampfjets von außen gesteuert werden kann oder die britischen Atom-U-Boote in den USA gewartet werden. Insofern sollte man das überdenken", sagt Lange im Gespräch mit ntv.de.
Wie gefährlich das ist, zeigt ein Blick auf die Ukraine: Ihr sperrte Trump zwischenzeitlich den Zugang zu US-Satellitenbildern, um ihre Zustimmung zu einer Waffenruhe mit Russland zu erzwingen. Auch die Europäer sind bislang abhängig von der Satellitenaufklärung der Vereinigten Staaten. Nicht nur das: Europa kann sich bisher nicht verteidigen ohne den nuklearen Schutzschirm der USA, ihre Truppenstärke, Militärtechnik und Logistik. Es wird viele Jahre dauern, das alles auf europäischer Ebene zu ersetzen. Ganz ohne Trump wird es erst einmal nicht gehen.
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