Ihre schlagfertige Art wird sie brauchen können, wenn der Bundestag sie in der kommenden Woche zu seiner Präsidentin wählt. Angst vor Kontroversen hat Julia Klöckner jedenfalls nicht, wie ihre bisherige Laufbahn zeigt.
Es war eine naheliegende Entscheidung, die Friedrich Merz am Montagnachmittag nach einer Sitzung der Unionsfraktion verkündete: Die Unionsfraktion nominiert Julia Klöckner als neue Bundestagspräsidentin. Die Wahl findet am Dienstag der kommenden Woche statt, bis dahin will Klöckner sich den Fraktionen vorstellen - auch der AfD, wenn die sie einladen sollte.
Naheliegend war die Entscheidung, weil Klöckner zu den bekanntesten Gesichtern ihrer Partei gehört. Sie zählt zudem zum erstaunlich kleinen Kreis von Personen in der erweiterten Spitze der Bundes-CDU, die Regierungserfahrung haben. Allerdings musste sie in ihrer Zeit als Landwirtschaftsministerin in Angela Merkels letzter Bundesregierung ziemlich viel Kritik einstecken. Den gewünschten frischen Wind würde sie damit eher nicht signalisieren. Klöckner war daher schon kurz nach der Bundestagswahl in erster Linie als neue Bundestagspräsidentin im Gespräch.
Wird die 52-Jährige gewählt, so steht sie vor einer ziemlichen Herausforderung: Die AfD-Fraktion ist so groß wie nie, es dürfte in der nächsten Legislaturperiode also noch mehr Zwischenrufe geben, bei denen die Sitzungsleitung schnell entscheiden muss, ob sie von der Geschäftsordnung gedeckt sind. "Julia Klöckner ist eine erfahrene und leidenschaftliche Parlamentarierin", sagte ihre Fraktionskollegin Nina Warken ntv.de. "Sie ist kommunikativ, vermittelnd und ausgleichend, scheut aber nicht die Konfrontation mit Feinden unserer Demokratie. Ich bin mir sicher: Sollte es nötig sein, wird sie deutliche Worte finden, um Provokationen, Pöbeleien und Zwischenrufe im Plenum zu unterbinden."
Klöckner kann mit Menschen
Immerhin geht es um das zweithöchste Amt im Staat. Vor allem der repräsentative Anteil an der Jobbeschreibung dürfte für CDU-Chef Merz den Ausschlag gegeben haben: Klöckner kann hervorragend mit Menschen. Von der herzlichen Umarmung bis zum bösen Kommentar beherrscht sie die komplette Klaviatur. Sie ist darin, bei allen Unterschieden, dem bisherigen Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki nicht unähnlich.
Zu Beginn ihrer Karriere wurde Klöckner häufig als "ehemalige Weinkönigin" belächelt, auch später noch in sexistischem Tonfall als "blonde Hoffnung", als "Muttis Schönste" gar. Da war sie längst stellvertretende CDU-Vorsitzende. Und wusste sich gegen herablassende Sprüche mit ironischen Witzen zur Wehr zu setzen.
Dabei war Klöckner viel mehr als ein hübsches Gesicht oder eine Quotenfrau. Über Jahre war sie eine Hoffnungsträgerin in der Union. Sie war ein bisschen konservativer, deutlich bodenständiger und zugleich moderner als Merkel, beliebt bei der Parteibasis und nie um einen Spruch verlegen. Doch nach der Wahlniederlage 2021 wirkte sie wie jemand von gestern. Die Wahl zur Bundestagspräsidentin wäre eine Art Comeback. Zuletzt war sie nur noch wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, zudem Schatzmeisterin der CDU. Das ist nicht wenig, aber wenig im Vergleich zu ihren Ambitionen.
Zwei Niederlagen, danach Bundesministerin
Doch Klöckner beweist seit Langem eine gewisse Zähigkeit: Zwei Mal, 2011 und 2016, scheiterte sie beim Versuch, Ministerpräsidentin ihrer Heimat Rheinland-Pfalz zu werden - beim zweiten Mal lag es auch daran, dass sie in der Flüchtlingspolitik einen unklaren Kurs zwischen Merkel und dem damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer fuhr. Zwei Jahre später machte Merkel Klöckner zur Bundeslandwirtschaftsministerin. Die Hoffnung dahinter: Klöckner würde als Winzertochter aus Bad Kreuznach die Sprache der Bauern sprechen, die Agrarpolitik aber auch den Verbrauchern gut verkaufen können. Das klappte nicht: Klöckner verschob das Verbot der betäubungslosen Kastration von Ferkeln um zwei Jahre, was Tierschützer empörte. Sie trat mit dem Deutschlandchef des Lebensmittelkonzerns Nestlé in einem Video ihres Ministeriums auf, was Verbraucherschützer aufregte.
Klöckner selbst bezeichnete sich als "Lobbyistin für die Bauern", wurde bei Bauernprotesten aber trotzdem ausgebuht; vielen Landwirten ging ihr Insektenschutzprogramm zu weit. Bei den Trecker-Demos vor gut einem Jahr hieß es von Bauern gar, man habe sich zu Beginn der Ampelregierung gefreut, dass Klöckner nun abgelöst werde. Die Ex-Ministerin suchte damals wieder den Anschluss an die Bauern, indem sie die Politik ihres Nachfolgers Cem Özdemir kritisierte - ein Tabu: Normalerweise halten ehemalige Minister nach ihrer Amtszeit Abstand zu ihrem alten Betätigungsfeld.
In die Kritik geriet Klöckner zudem wegen einiger Äußerungen auf Twitter beziehungsweise X. Man trete ihr "nicht zu nahe, wenn man sagt, dass nicht jede ihrer unzähligen Äußerungen in den sozialen Medien ein konzentriert vorgetragener kluger Gedanke war", merkte die "Süddeutsche Zeitung" kürzlich an. Man kann den Satz als höfliche Untertreibung lesen. Klöckner neigt zur Zuspitzung und schießt dabei gelegentlich über das Ziel hinaus. Auch darin kann man eine Parallele zu Kubicki sehen. Als Bundestagsvizepräsident war der FDP-Politiker trotzdem eine gute Besetzung.
"Vertrauen und Erwartungen"
Die genannten Kontroversen führten dazu, dass Klöckners Status als Liebling der Partei bröckelte. Erhielt sie auf dem Parteitag 2010 bei ihrer ersten Wahl ins CDU-Präsidium noch 94,4 Prozent der Stimmen, wurde sie im vergangenen Jahr mit 83 Prozent als Schatzmeisterin bestätigt - ein gutes, aber nicht mehr hervorragendes Ergebnis. Von ihrer Fraktion wurde sie jetzt einstimmig nominiert. Ihr Amt als Bundesschatzmeisterin der CDU wird Klöckner übrigens kaum fortführen können, schließlich ist die Bundestagsverwaltung, deren Dienstherrin sie als Parlamentspräsidentin wäre, auch für die Überwachung von Parteispenden zuständig.
Übertrieben viele Vorschusslorbeeren gab Merz Klöckner nicht mit auf den Weg. Die nächste Bundestagspräsidentin müsse die Demokratie "in Würde und mit angemessener Streitkultur" repräsentieren, sagte Merz nach der Fraktionssitzung. Klöckner sei "mit großem Vertrauen und auch einigen Erwartungen" nominiert worden. Sie selbst kündigte an, eine Reform der Geschäftsordnung anzustreben. Berichten zufolge hat Merz Klöckner auch deshalb als Parlamentspräsidentin erkoren, weil CSU-Chef Markus Söder sein Veto gegen einen anderen Bewerber eingelegt hatte: Dem Kanzlerkandidaten der Union von 2021, Armin Laschet, waren ebenfalls Ambitionen nachgesagt worden. Laschet hatte sich seinerzeit gegen Söder durchgesetzt, wofür der bayerische Ministerpräsident sich schon im Wahlkampf mit stetigen Sticheleien revanchierte.
Die bisherige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas von der SPD hat Würde und Streitkultur nach allgemeiner Einschätzung sehr gut verbunden. Bas ist derzeit als Ministerin eines künftigen schwarz-roten Kabinetts im Gespräch. Es wäre das erste Mal, dass eine ehemalige Bundestagspräsidentin in ein Ministeramt wechselt: Normalerweise ist ein solches Amt Höhe- und Endpunkt einer politischen Karriere. Aber das muss ja nicht so bleiben. Klöckner dürfte diese Entwicklung aufmerksam verfolgen.
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