Nach dem 7. Oktober 2023 wurde Hanna Veiler zur Repräsentantin junger Juden – und zur Angriffsfläche. Die 26-jährige Funktionärin der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands legte sich mit allen an, die das genozidale Hamas-Massaker und die dabei begangenen Gräuel in Israel rechtfertigen, verharmlosen, leugnen.

Insbesondere in dem politischen Lager, das sich wie sie als progressiv versteht, verlor sie seitdem Freunde. Bekanntlich gefällt es dort nicht allen, wenn man Antisemitismus auch dann kritisiert, wenn er von Linken oder Muslimen ausgeht. „Gehen Sie entschlossen gegen islamischen und jeglichen israelbezogenen Antisemitismus vor“, schrieb sie bereits vier Tage nach dem Massaker an die Bundesregierung.

Nun hat Veiler nach der Bundestagswahl mit einem Interview in der „Jüdischen Allgemeinen“ für große Aufmerksamkeit gesorgt. „Ich werde Deutschland verlassen“, sagte die in Belarus geborene Aktivistin in der vergangenen Woche und begründete dies mit dem Wahlerfolg der AfD. „Ich mache mir Sorgen um meine Eltern, die nicht deutsch aussehen und einen Akzent haben, und um meine Großmutter, die abgeschoben werden könnte, sollte ihr Aufenthaltstitel einmal nicht verlängert werden.“ Gegenüber WELT stellte sie klar, dass das Wahlergebnis „nicht der einzige Grund, eher der letzte Tropfen“ für ihre Entscheidung sei.

Die Linkspartei nahm das Interview zum Anlass für Werbung in eigener Sache. Die Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken erklärten, dass „Nie wieder“ eine „leere Phrase“ bleibe, „wenn daraus keine Haltung zu den drängenden Fragen der Gegenwart erwächst“. Und: „Unsere stärkste Waffe ist die Solidarität.“

Ohne Veiler zu kontaktieren und jemals mit ihr gesprochen zu haben, setzte die Linkspartei die politische Bildnerin zudem auf eine Instagram-Kachel, neben den Parteinamen. Veiler fühlte sich instrumentalisiert. Auch die Linke sei „Teil des Problems, das viele junge jüdische Menschen dazu bewegt, das Land zu verlassen“, schrieb sie. Von der Linken brauche sie „keine vermeintlichen Solidaritätsbekundungen zum großen Problem des rechten Antisemitismus“, sondern, dass die Partei „in ihren eigenen Reihen aufräumt und ihre außenpolitischen Positionen überdenkt“, sagte sie in einem Video.

Den Vorwurf der Instrumentalisierung kann ich gut nachvollziehen. Ist der Gegner die AfD, springt die Linken-Spitze sofort drauf. Richtet sich die Kritik an Genossen, ist sie deutlich zaghafter. Ein heuchlerischer Umgang. So hatten die Parteichefs vor dem Parteitag im Oktober des vergangenen Jahres noch einen Kompromissantrag zum israelisch-palästinensischen Konflikt erarbeitet, in dem der gegen Israel gerichtete Vernichtungsantisemitismus nicht benannt wird. Zwar wird darin der „schlimmste Terrorangriff seit Israels Gründung“ beklagt; gleichzeitig werden aber auch Israel „schwere Kriegsverbrechen“ vorgeworfen.

Und der Antrag fordert, dass Deutschland keine Waffen mehr an Israel liefern dürfe. Eine solche Forderung würde „den einzigen jüdischen Staat, Heimstatt auch Überlebender der Shoah, der Gefahr der Vernichtung preisgeben“, stellte die sachsen-anhaltische Landtagsabgeordnete Henriette Quade in ihrem anschließenden Austrittsschreiben treffend fest. „Diese Friedenspolitik läuft auf eine Politik des Sterbenlassens hinaus.“

Linken-Chef van Aken reagierte auf den Austritt außerordentlich peinlich. Inhaltlich fiel ihm zur Kritik seiner langjährigen Parteifreundin nicht viel ein. „Das hat sehr sehr viel mit Emotionen zu tun“, behauptete er damals. Van Aken unterstellte Quade also implizit fehlende Rationalität. Sexismus von links.

Und dieser Mann will sich nun das Interview einer jüdischen Aktivistin zunutze machen, weil es einmal gegen einen gemeinsamen Gegner geht? Wie schäbig. Bevor die Linkspartei als glaubwürdiger Partner im Kampf gegen Antisemitismus wahrgenommen werden kann, hätte sie beim Aufräumen in den eigenen Reihen, wie Hanna Veiler es fordert, tatsächlich genügend zu tun.

Terrorglorifizierung par excellence

In der Debatte auf dem Parteitag zum genannten Kompromissantrag hatte etwa die frühere nordrhein-westfälische Landeschefin Inge Höger gesprochen, eine der wichtigsten Stimmen des linken Antizionismus. Höger nahm im Jahr 2010 an einem Konvoi teil, mit dem die israelische See-Blockade des Gaza-Streifens gebrochen werden sollte. Organisiert worden war die Aktion von einer türkischen Organisation mit Verbindungen zu Islamisten. Höger schlief auf dem geschlechtergetrennten „Frauendeck“ und wollte hinterher nichts von antisemitischen Gesängen auf dem Schiff gehört haben. In ihrer Partei fühlt sie sich offensichtlich noch immer wohl.

Van Aken bezog sich auf dem Parteitag im Oktober auch auf solche Figuren, als er sagte, dass „unsere gesamte Solidarität allen Genoss:innen“ gelte, „die mit Schmutz überzogen werden, wenn sie mit Antisemitismusvorwürfen drangsaliert werden“. „Niemand hier ist Antisemit“, behauptete der Bundesvorsitzende – und zeigte damit, dass er das Problem des linken Antisemitismus nicht verstanden hat und erst recht nicht ernst nimmt.

Er hätte seinen eigenen Genossen nur mal zuhören müssen. Immerhin 38 Prozent der Delegierten wollten der Leipziger Gruppe „Handala“, die vor der Tür demonstrierte, ein Rederecht einräumen. Die Israel-Hasser hatten am 7. Oktober eine Grafik mit dem Schriftzug „Gaza just broke out of prison“ (deutsch: „Gaza ist gerade aus dem Gefängnis ausgebrochen“) gepostet und Comics von Gleitschirmen geteilt, die von dem Hamas-Terroristen bei ihrem Angriff genutzt worden waren. Terrorglorifizierung par excellence.

Auf dem Parteitag Ende 2023 war es etwa der damalige Schatzmeister der hessischen Linken, Nick Papak Amoozegar, der die Hamas als „palästinensischen Widerstand“ verharmlost hatte. Über Israels Kriegsführung in Gaza sagte er: „Es ist die gezielte Vernichtung eines Volkes.“ Woran das wohl erinnern sollte?

Um der gebotenen Differenzierung gerecht zu werden: Es gibt in der Linkspartei zahlreiche Mitglieder, für die der Kampf gegen Antisemitismus und auch die Solidarität mit Israel ein selbstverständlicher und zentraler Teil ihres Selbstverständnisses ist. Dazu gehört etwa die scheidende Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, dazu gehören die Mitglieder des Bundesarbeitskreises Shalom der Linksjugend, einer seit 2008 bestehenden und innerparteilich kontrovers diskutierten „Plattform gegen Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus, Islamismus und regressiven Antikapitalismus“.

Und tatsächlich gibt es auch positive Entwicklungen: Die Marxisten-Leninisten der Kommunistischen Plattform und die Trotzkisten von Marx21, die ihren Hass auf den jüdischen Staat häufig recht offen ausleben, sind innerhalb der meisten Landesverbände weitgehend marginalisiert. Den wohl radikalsten Vertreter, den Hamas-Fanboy Ramsis Kilani, hat der Berliner Landesverband kürzlich erstinstanzlich aus der Partei geworfen; die Antizionistin und frühere Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz ist daraufhin selbst ausgetreten. Immerhin.

Im vergangenen Jahrzehnt ist allerdings auch noch eine neue Schar von Israel-Feinden hinzugekommen: postkoloniale und queerfeministische Gruppen, die Zionismus als Feindbild pflegen und dies mit angeblichem Antirassismus begründen. Solange solche Leute immer wieder auf Parteitagsbühnen den Ton angeben und im Karl-Liebknecht-Haus Veranstaltungen abhalten dürfen, ist es geradezu absurd, wenn die Linken-Spitze mit dem Finger nur auf andere zeigt.

Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“. Die bisherigen Folgen:

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