Mit aller Macht versuchen die Europäer bei den Verhandlungen über ein Ende des Krieges in der Ukraine einen Fuß in die Tür zu bekommen. Bisher verhandelten in Saudi-Arabien nur Russland, die USA und die Ukraine. Dabei versteht sich die neue US-Administration unter Präsident Donald Trump anders als die Vorgängerregierung nicht länger als uneingeschränkter Unterstützer Kiews, sondern in erster Linie als Vermittler zwischen den Kriegsparteien. Das ist ein schwerer Rückschlag für Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj. Umso mehr ist er nun auf die Unterstützung der Europäer angewiesen.
Am Donnerstag berieten insgesamt 31 Staaten – die allermeisten von ihnen gehören der EU an – plus Nato-Chef Mark Rutte rund fünf Stunden über Sicherheitsgarantien nach einem möglichen Waffenstillstand in der Ukraine. Konkret ging es dabei darum, was eine westliche „Koalition der Willigen“ tun kann, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin davon abzuhalten, künftig einen Waffenstillstand oder gar Frieden in der Ukraine zu brechen.
Die Beratungen am Donnerstag waren nicht die ersten dieser Art, die Koalition hatte sich bereits zuvor in verschiedenen Formaten mehrmals getroffen. Nach diesem Treffen ist aber klar: Die Europäer sind in der Frage, wie ein Waffenstillstand in der Ukraine gesichert werden könnte, gespalten. Macron und Großbritanniens Premierminister Keir Starmer, die die „Koalition der Willigen“ anführen, sind noch meilenweit von konkreten Entscheidungen entfernt.
Mehr noch: Es ist höchst unsicher, ob sich Selenskyj künftig auf die Europäer und weitere westliche Staaten als Sicherheitsgaranten für sein Land verlassen kann. Denn Macrons „Koalition der Willigen“ ist bisher in Wahrheit eine Koalition der Unwilligen. Es habe keine Einigkeit gegeben, stellte Frankreichs Staatspräsident nach dem Treffen lakonisch fest. Wie viele Staaten sich mit Truppen an einer Friedenssicherung in der Ukraine beteiligen wollen, bleibt auch nach diesem Treffen unklar. Macron sprach lediglich von „mehreren der anwesenden Staaten“.
Was planen Macron und Starmer?
Sie wollen sogenannte Rückversicherungstruppen („forces de réassurance“) in der Ukraine stationieren, die Kiew helfen sollen, einen Waffenstillstand zu bewahren. Diese Truppen sollen Moskau allein durch ihre Präsenz abschrecken und Russland die „klare Unterstützung“ der Ukraine durch verschiedene europäische Regierungen signalisieren. Britische Diplomaten sprachen in diesem Zusammenhang von 10.000 bis 30.000 westlichen Soldatinnen und Soldaten.
Macron sagte dazu. „Unsere Soldaten sind vor Ort, um zu antworten und zu reagieren auf die Anweisungen des Oberbefehlshabers. Und wenn sie in einen Konflikt geraten, sollen sie darauf antworten.“ Im Klartext: Die europäischen Truppen müssten im Ernstfall auch kämpfen. Sie sollen allerdings nicht an der Front stationiert werden, sondern laut Macron etwa in „wichtigen Städten“ und in „strategischen Stützpunkten“ in der Ukraine. Macron: „Wir sind also nicht an der Frontlinie, wir kämpfen nicht, aber wir sind da, um einen dauerhaften Frieden zu garantieren. Es ist ein pazifistischer Ansatz.“
Nächster Schritt: Die Generalstabschefs aus Frankreich und Großbritannien werden in den kommenden Tagen in die Ukraine reisen, um die militärischen Anforderungen für einen Einsatz zu prüfen (‚fact finding mission‘). Die Militärs machen den Politikern Vorschläge über Einsatzorte und die benötigte Anzahl der Soldaten.
Wo liegen die Probleme?
Es gibt zahlreiche offene Fragen. Es ist unklar, mit welchem Mandat die „Rückversicherungstruppen“ ausgestattet werden könnten. Es ist offen, wie robust der Auftrag der Truppen sein wird, mit welchen Waffen sie ausgestattet werden sollen, und was passiert, wenn Soldaten eines Nato-Landes von russischen Kräften getötet werden. Ein weiteres Problem ist auch, dass ungewiss ist, welche Länder sich überhaupt beteiligen und ob die für eine glaubhafte Abschreckung Russlands erforderlichen Kräfte jemals bei einer Truppenstellerkonferenz zusammenkommen werden.
Dies dürfte auch maßgeblich davon abhängen, wie sich Washington verhält. Bisher hält die Trump-Administration sehr wenig von dem geplanten Einsatz und ist auch nicht bereit, den Europäern Aufklärung, Luftstreitkräfte und Transportkapazitäten als Back-up beim Ukraine-Einsatz zur Verfügung zu stellen. Trumps Sondergesandter Steve Witkoff verspottete Macrons Idee einer „Rückversicherungstruppe“ kürzlich sogar als „simplizistisch“. Falls die Amerikaner aber nicht bereit sein sollten, die europäischen Truppen in der Ukraine im Notfall zu unterstützen, dürften viele Länder, die bisher noch formal zu „Koalition der Willigen“ gezählt werden, auf einen bewaffneten Friedenseinsatz in der Ukraine verzichten. Solange die Frage der US-Sicherheitsgarantien ungeklärt ist, wird es bei den laufenden Beratungen darum auch keine Einigkeit geben über die geplanten „Rückversicherungstruppen“.
Wie geht es weiter?
Erstens: Macron und Starmer werden versuchen, sich möglichst eng mit Trump abzusprechen, um letztlich vielleicht doch noch Sicherheitsgarantien aus Washington zu erhalten. Dabei hält Starmer die US-Unterstützung für unabdingbar, Macron sagte dagegen: „Wir müssen vorbereitet sein auf eine Situation, wo sie (die Amerikaner; Anm. d. Red.) vielleicht nicht mitmachen.“
Zweitens: Deutschland ist in puncto Beteiligung an einer möglichen Friedenstruppe bisher sehr zurückhaltend. Der geschäftsführende Kanzler Olaf Scholz sagte, es sei ja noch gar nicht klar, ob und in welcher Form es eine solche Friedenstruppe geben werde. Dagegen erklärte der geschäftsführende Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD): „Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der Deutschland sich nicht beteiligen würde, wie immer das Resultat der Verhandlungen über eine Waffenpause oder sogar einen Frieden auch aussieht.“
Drittens: Die Europäer und Kiew sind sich weitgehend darin einig, dass die erste Verteidigungslinie bei der Sicherung eines Waffenstillstands von den ukrainischen Soldaten gebildet werden soll. Scholz sagte darum auch, man setze auf eine weitere Stärkung der ukrainischen Streitkräfte durch ausreichende finanzielle Unterstützung und Waffenlieferungen: „Insofern konzentrieren wir uns auf das, was jetzt naheliegend ist“, betonte Scholz.
Großbritanniens Regierungschef Starmer rief unterdessen zur Vorsicht gegenüber den russischen Machthabern auf: „Sie spielen Spiele und sie spielen auf Zeit.“
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