Der Militär-Chat in der Signal-Gruppe zwischen Mitgliedern von Trumps Regierung sei ein Einfallstor für russische Geheimdienste gewesen, sagt Experte Erich Schmidt-Eenboom. Die Europäer arbeiteten bereits auf Hochtouren daran, einen Nachrichtendienst ohne die USA zu schaffen.
ntv.de: Trumps Regierung hat sich in einem Signal-Chat über das militärische Vorgehen gegen die Huthi ausgetauscht und versehentlich "Atlantic"-Chefredakteur Jeffrey Goldberg dazu eingeladen. Ist die Panne nur peinlich oder auch gefährlich?
Erich Schmidt-Eenboom: Die Panne ist außerordentlich gefährlich. Sie zeigt einmal mehr, wie große Teile des Regierungsapparats der Vereinigten Staaten, die wichtigsten Entscheidungsträger im Weißen Haus, absolut dilettantisch vorgehen. Dass diese Verantwortungsträger sogar ungestraft wegen eines Meineids davonkommen, spricht für den Abbau von Demokratie in den Vereinigten Staaten.
Sie meinen die Aussagen Geheimdienst-Koordinatorin Tusli Gabbard vor einem Ausschuss des Repräsentantenhauses.
Die Amerikaner können nur von Glück sagen, dass die Nachrichtendienste der Feindstaaten diese Lücke in der Signalkommunikation nicht erkannt haben und da reingeschossen sind. Das alles ist brandgefährlich für die amerikanische militärische Operationsplanung.
Geheimnisverrat ist eigentlich eine Straftat. Ein Richter wies die Trump-Regierung an, den Chat nicht zu löschen und aufzubewahren. Rechnen Sie damit, dass das Ganze doch noch ein juristisches Nachspiel haben könnte?
Nein, überhaupt nicht. Sogar falls Trump bei den Zwischenwahlen 2026 die Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus verlieren würde und es eine entsprechende Untersuchung gäbe, würde Trump vorsorglich seine Mittäter begnadigen.
Trumps Russland-Gesandter, Steve Witkoff, befand sich in Moskau wegen eines Treffens mit Präsident Wladimir Putin, als er sich im Chat austauschte. Wie leicht wäre es für Russland gewesen, Witkoffs Chat abzuhören?
Russische Dienste werden immer versuchen, den Handverkehr der amerikanischen Entscheidungsträger abzuhören. Wenn sie da auf eine Lücke stoßen, weil jemand außerhalb der Verschlüsselungstechnologien sein Handy benutzt, gibt es ein Einfallstor, um an wichtige Informationen zu kommen.
Hätte es einfache Möglichkeiten gegeben, abhörsicher zu kommunizieren?
Die amerikanischen Verantwortungsträger, die Minister und wichtige Generale, kommunizieren in der Regel verschlüsselt mit einer Technologie, die die NSA gebastelt hat. Wenn man auf andere Kommunikationswege umsteigt, die nicht sicher sind, ist das absolut fahrlässig. Die Chat-Panne zeigt die absolute Arroganz von Trumps Regierung. Es ist aber kein Einzelfall. Auch in Deutschland haben schon Generale auf unsicheren Kanälen sensible Informationen ausgetauscht.
Im vergangenen Jahr, als der russische Sender RT ein Gespräch von Bundeswehroffizieren über die Lieferungen von Taurus-Marschflugkörpern abhören konnte.
Genau. Das war auch ein absoluter Missgriff. Damals hat man auch über Staatsgeheimnisse über unsichere Kanäle kommuniziert.
Wie konnte das passieren?
Das ist die Leichtfertigkeit von Verantwortungsträgern. Aber auch die Bundeswehrgenerale sind damals nicht dafür zur Rechenschaft gezogen worden. Auch in diesem Fall hätte man eigentlich zu Disziplinarmaßnahmen greifen müssen. Aber jeder Verteidigungsminister tut sich schwer, sich mit Teilen der Generalität anzulegen.
Warum?
Ein Verteidigungsminister braucht die Loyalität seiner Generalität. Hätte er sie zur Rechenschaft gezogen, dann hätte es durchaus Widerstände gegeben gegen seinen Führungsstil auf der Hardthöhe, dem ersten Dienstsitz des Verteidigungsministeriums.
Europa ist stark von den geheimdienstlichen Informationen der USA abhängig - vor allem technisch, etwa bei der Satellitenaufklärung. Wie tief erschüttert der Vorfall das Vertrauen der Europäer in die US-Geheimdienste?
Das gesamte Partnerdienst-System aus den frühesten Tagen des Kalten Krieges fliegt den Europäern im Augenblick um die Ohren. Trumps Regierung will auf dem nachrichtendienstlichen Sektor denselben Weg einschlagen wie auf dem militärischen. Das heißt: Sie übt Druck auf die Europäer aus, für ihre Sicherheit auch im geheimdienstlichen Bereich selbst Sorge zu tragen. Das will sie durch das Zurückhalten von nachrichtendienstlichen Informationen erreichen. Die Trump-Regierung will sich auch die Option offenhalten, die Ukraine jederzeit mit dem Zurückhalten von nachrichtendienstlichen Informationen zu erpressen.
Das ist schon einmal passiert: Trump sperrte der Ukraine zeitweise den Zugang zu US-Satellitenbildern, um ihre Zustimmung zu einer Waffenruhe mit Russland zu erzwingen.
Und Trumps Regierung wird in solchen Fällen die Ergebnisse der Satellitenaufklärung auch nicht an deutsche, britische oder französische Nachrichtendienste weitergeben. Denn die USA müssen annehmen, dass Informationen auf diesem Weg wieder in Kiew landen. Vor allem diese drei europäischen Dienste unterhalten gute Kontakte zu dem äußerst professionellen ukrainischen Nachrichtendienst.
Hat Trumps Regierung den Europäern also auch schon mal den Zugang zu geheimdienstlichen Informationen gesperrt? Oder kommt das erst noch?
Wenn ich die Signale aus London richtig verstehe, sehen die Briten, dass die enge Zusammenarbeit mit den amerikanischen Diensten längst vorbei ist. Die Briten waren eigentlich die treuesten Partner der Amerikaner in dem Geheimdienstbündnis Five Eyes. In dem Bündnis, das seit dem Zweiten Weltkrieg besteht, haben auch Australien, Kanada und Neuseeland Informationen ausgetauscht. Großbritannien erkennt nun deutliche Signale dafür, dass die Amerikaner ihnen gegenüber Zurückhaltung wahren. Das dürfte auch für Kanada gelten, weil das Verhältnis von Trump zu den Kanadiern auch gespalten ist.
Wie gestaltet sich die Situation für Deutschland?
Man sieht auch im bundesdeutschen Bereich schon die Resonanz. Die Grünen und die SPD haben verlangt, nach der Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben nicht nur die Streitkräfte zu optimieren, sondern auch viele Millionen zusätzlich in den nachrichtendienstlichen Bereich fließen zu lassen. Daran sieht man deutlich: Die Europäer haben begriffen, dass es an der Zeit ist, ein eigenes nachrichtendienstliches System aufzubauen. Die Vorzeichen dafür sind gut. Es gibt seit Jahren Bemühungen auf der europäischen Ebene. Das ist früher vielfach durch nationale Egoismen ausgebremst worden. Aber jetzt sehen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und auch die Briten ein: Ihre Nachrichtendienste müssen viel enger kooperieren, um ein Gegengewicht gegen die amerikanischen Dienste zu schaffen.
Welche Schritte sind dafür jetzt erforderlich?
Die ersten Schritte sind die nachrichtendienstlichen Austauschverfahren. Informationen dürfen nicht mehr wegen nationaler Interessen zurückgehalten, sondern müssen in Brüssel zusammengeführt werden. Ziel ist ein kompletter Austausch aller Informationen, ohne jede Hemmung. Zweitens muss man auch operativ enger zusammenarbeiten. Der Bundesnachrichtendienst etwa pflegt mit den drei baltischen Nachrichtendiensten eine enge Zusammenarbeit, weil sie nützliche Netzwerke im Westen der Russischen Föderation unterhalten. Auch die Briten, Franzosen und Polen zielen auf eine engere Zusammenarbeit.
Muss im technischen Bereich auch nachgerüstet werden?
Ja, das ist die größte Herausforderung. Hier muss nicht nur die Technik der einzelnen Länder aufeinander abgestimmt werden. Es muss auch eine Aufgabenteilung geben. Es muss klar sein, wer welche Region zu welchem Zeitpunkt überwacht. Damit wird auch der Ukraine die Möglichkeit gegeben, sich von der amerikanischen Vorherrschaft abzukoppeln. Die Briten haben gewisse technische Möglichkeiten, aber die sind begrenzt. Sie können mit den Kapazitäten des amerikanischen Space Command und der NSA nicht mithalten. Die Amerikaner beschäftigen Hunderttausende Nachrichtendienstler. Aber wenn man die europäischen Kapazitäten zusammenfasst, hat man für den Anfang zumindest ein kleines Gegengewicht.
Welche Geheimdienste könnten in Europa eine Führungsrolle übernehmen?
Da sehe ich in erster Linie die Briten. Die frühere britische Premierministerin Theresa May betonte mal gegenüber Ex-Kanzlerin Angela Merkel, sie habe den weltbesten Geheimdienst. Das ist leicht übertrieben, aber die Briten sind gut aufgestellt, sowohl im Bereich der menschlichen Aufklärung durch den Auslandsgeheimdienst MI6 als auch im Bereich der technischen Aufklärung durch die Government Communications Headquarters. Die Franzosen und vor allem der BND sind nicht ganz so gut, was die menschliche Aufklärung betrifft. Aber wenn die Europäer ihre Kapazitäten arbeitsteilig bündeln, dann könnte unter britischer Ägide ein wirksamer europäischer Nachrichtenverbund entstehen.
Mit Erich Schmidt-Eenboom sprach Lea Verstl
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