Einer der Preisträger des diesjährigen World Press Photo Award fotografiert im Auftrag der russischen Staatsagentur Tass. Die Würdigung ist ein Skandal. Propaganda für den Kreml wird hier wie Journalismus behandelt.

Es ist der renommierteste Preis im Bereich Fotojournalismus und Dokumentarfotografie: Der World Press Photo Award wählt jedes Jahr aus zehntausenden Einreichungen von Hunderten Fotografen und Fotografinnen weltweit die Gewinner aus. Die Auswahl ist auch immer ein Schnappschuss der Ereignisse des Vorjahres und transportiert den Zeitgeist - eingefangen durch die Linse der Urheber. Die Werke werden anschließend weltweit ausgestellt, zum Beispiel auch im Willy-Brand-Haus in Berlin, der Parteizentrale der SPD. Die Jury kuratiert somit auch das kollektive fotografische Gedächtnis.

Doch im 70. Jubiläumsjahr schreckt die Jury nicht davor zurück, der russischen Propagandamaschine in die Hände zu spielen, sie gar auszuzeichnen: Ausgerechnet ein Fotograf der russischen Propaganda-Agentur Tass, die das Regime-Narrativ mit Bildern unterlegt und vorantreibt, wurde für ein Bild der Demonstrationen in Georgien gekürt. Der Fotograf, Michail Tereschenko, bezeichnet sich und seine Kollegen als "Zeitzeugen und Chronisten der jüngsten Geschichte Russlands", durch deren "Augen und Sucher ihrer Kameras wir zusehen, wie Geschichte entstand und gemacht wird". Doch wie können Fotografen, die im Auftrag der Propagandamaschine eines autoritären Staates arbeiten, einfache "Chronisten" bleiben? Selbst wenn Tereschenko sich selbst als reinen Chronisten sieht: Seine Bilder und sein Talent lässt er von einer aggressiven Angriffsmacht und ihrer Propagandamaschine instrumentalisieren.

Das falsche Zeichen

Auf der Webseite des World Press Photo Award wird nicht etwa die Sicht der Demonstranten hervorgehoben - wogegen sich ihr Protest genau richtet, bleibt unsichtbar, genau wie in den Artikeln bei Tass selbst. Zwar ist in der Bildbeschreibung auf der Webseite von World Press Photo (WPP) von Wahlmanipulation die Rede, doch wird nicht genannt, wer dahintersteckt - nämlich Russland. Im Vordergrund steht stattdessen der Einsatz von Feuerwerkskörpern, um der Brutalität der Einsatzkräfte etwas entgegenzusetzen. Und so erzählt das Bild, das diesen wichtigen Moment in der Geschichte Georgiens für die kollektive Erinnerung festhalten soll, nichts über den eigentlichen Kampf Davids gegen Goliath. Kein Wunder, dass sich die Menschen in Georgien betrogen fühlen.

WPP argumentiert, dass die Auswahl anonym erfolgt und die Jury kein Land bei der Berücksichtigung ausschließe. Doch das erklärt nicht, warum der wichtigste Preis im Bereich der Dokumentarfotografie an einen Regime-Fotografen des Aggressorstaates geht für Proteste, die sich vornehmlich gegen die Einflussnahme genau dieses Regimes richten. Nicht nur steht die Frage im Raum, an welchem Punkt WPP die Einsendungen auf deren professionelle Integrität hin überprüft. Die Satzung sieht auch vor, dass die Exekutivdirektorin Joumana El Zein Khoury bei jeder Jury-Entscheidung das letzte Wort hat.

Mit der Auszeichnung der Staatsagentur Tass und dem Festhalten an dieser Entscheidung setzt der WPP Award das falsche Zeichen. Den verzweifelten Kampf der Georgier für ihre Souveränität durch die Linse jener Agentur erzählen zu lassen, die sich mitschuldig macht an der russischen Unterdrückung und Einmischung in Georgien, ist ein Verrat an grundlegenden journalistischen Prinzipien, denen sich WPP verschrieben hat - und gegen die die staatliche Propagandaagentur tagtäglich verstößt.

Bilder von der "Befreiung" Mariupols

Tereschenkos journalistische Integrität darf und muss hinterfragt werden, um einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen: Auf Instagram nennt er sich @suprematizm - angelehnt an das englische Wort für Suprematismus, eine Kunstströmung im Umkreis des russischen Konstruktivismus. Doch der Begriff erinnert auch stark an das Wort "Supremacy”, was wiederum für Vorherrschaft steht. Dort sieht man in stilisierter Form Bilder der russischen Z-Propaganda und des Kremls - unkommentiert.

Scrollt man weiter, findet man Bilder, die er als Kriegsfotograf aus den russisch besetzten Gebieten der Ukraine für Tass aufnahm. Mit den Besatzungstruppen reiste er zwischen März und November 2022 durch Donezk und nach Mariupol, das zu der Zeit von Russland belagert wurde und unter enormem russischem Beschuss stand - Zehntausende Zivilisten ließen ihr Leben. Die Bilder zeigen zerstörte Wohnblöcke, Evakuierungszentren und eine Autoschlange im humanitären Korridor, mit einem zerstörten Pkw im Hintergrund. Der humanitäre Korridor wurde nachweislich von Russland beschossen. Auch Bilder eines Friedhofs mit Hunderten neuen Gräbern zeigt Tereschenko und dokumentiert so die hohen Opferzahlen und die Zerstörung Mariupols. Geschönt sind die Bilder nicht, und erzählen dennoch nicht die ganze Geschichte. Maximal von Beschuss ist im Titel die Rede. Was fehlt: wer geschossen hat.

In einem Interview mit Tass vom 27. März zu seiner Auszeichnung wird deutlich, wie Tereschenko den Vormarsch Russlands sieht: Er habe bereits vor zwei Jahren seine Bilder bei World Press Photo eingereicht zur "Befreiung von Mariupol" - wie Russland seine Vernichtungskampagne nennt. Mehr noch: Für sein Werk im Sinne der russischen Propagandanarrative wurde Tereschenko kürzlich von Putin ausgezeichnet. Er zeigt es stolz in seinem Telegram-Kanal. In Russland macht der Kriegsfotograf Tereschenko also Karriere im Sinne des Diktators, der den Krieg losgetreten und Millionen Menschen unendliches Leid gebracht hat.

Wenn selbst das alles nicht reicht, um World Press Photo zu einer Hinterfragung seiner Auswahl zu bewegen, sollte sich die Jury mindestens am internationalen Abkommen zur Behandlung von Kriegsgefangenen orientieren. Im September 2024 zirkulierten Bilder Tereschenkos unter anderem beim staatlichen Medium "Komsomolska Pravda" und im Oppositionsmedium Meduza, die mehrere ukrainische Kriegsgefangene zeigen, teils gefesselt und unverpixelt. Das dürfte eine Verletzung der Genfer Konvention darstellen.

Die Organisation will die Vorwürfe prüfen lassen, ließ sie mitteilen. Doch die Frage bleibt: Wieso wurden Teilnehmer nicht vorab auf ihre journalistische Integrität hin überprüft? Indem sie einen Fotografen auszeichnet, der im Auftrag des Regimes arbeitet und die Kremlposition öffentlich teilt, und dessen Bilder um die Welt schickt, legitimiert World Press Photo auch die Propagandaagentur Tass. Sie gibt den Desinformationen, die Tass streut, ein breiteres Publikum.

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