Am 30. August des vergangenen Jahres startete der erste und bisher einzige Abschiebeflug nach Afghanistan. Mit an Bord: der 36-jährige Mehrfach- und Intensivtäter Abdul Saber Fazeli, genannt Ramin, aus Ludwigsburg. 166-mal war er polizeilich in Erscheinung getreten, 34 Jahre lang lebte er in Deutschland, davon verbrachte er 11 Jahre in Haft. Von dort wurde er auch direkt abgeschoben. Ein Team von ntv hat ihn in Kabul getroffen und Erstaunliches über sein neues Leben in Afghanistan erfahren.
Herr Fazeli, Sie leben jetzt seit einem halben Jahr in Kabul. Wie geht es Ihnen?
Abdul Saber Fazeli: Mir geht es gut. Ich habe einen Laden eröffnet und seit Kurzem auch einen Zweiten angemietet. Ich habe für meine Familie und mich ein Haus gemietet. Für mich war es ein Glücksfall, dass ich in mein Land zurückgekehrt bin. Ein Richter aus Reutlingen, wo ich einen Raubüberfall begangen hatte, hatte prophezeit, dass ich hier unter der Brücke landen würde. Mein Leben ist in Afghanistan aber vollkommen anders verlaufen und ich möchte dies mit den Menschen in Deutschland teilen. Außerdem habe ich vor einigen Monaten einen Bericht über einen der mit mir abgeschobenen Männer gehört, der mich ziemlich verärgert hat. Er stellt in diesem Beitrag Afghanistan aus meiner Sicht falsch dar.
Was meinen Sie?
Er hat gemeint, wir würden hier nicht frei sein, wir könnten hier nicht atmen und so. Aber das stimmt aus meiner Sicht nicht. Schauen Sie mich an: Ich laufe hier in westlicher Kleidung und ohne Bart herum, ich kann hier rumlaufen, wie ich will, so lange ich nicht gegen Gesetze verstoße. Natürlich gibt es hier spezielle Gesetze, die es in Deutschland nicht gibt. Zum Beispiel ist Musik verboten und Mädchen dürfen nur bis zur sechsten Klasse in die Schule gehen. Aber es ist deutlich sicherer als früher. Man kann sich hier aus meiner Sicht auch entfalten. Wenn man Ideen hat, dann wird man hier unterstützt, vor allem von der Familie. Mit den Taliban habe ich keine schlechten Erfahrungen gemacht. Sie sind nicht mehr wie 1996, sie sind meinem Empfinden nach inzwischen viel menschlicher. Sie lassen auch vieles zu. Sie haben verstanden, dass man einer Gesellschaft auch Freiheiten lassen muss.
Das klingt sehr überraschend und nicht nach dem, was man sonst über das ultra-konservative Regiment der Taliban hört …
Als wir angekommen sind und aus dem Flugzeug ausstiegen, hatten wir noch die Plastikhandfesseln und Fußfesseln der katarischen Behörden an. Am Flughafen warteten Taliban-Vertreter auf uns, man hat uns willkommen geheißen. Man sagte uns, dass wir nun wieder in unserem Land seien. Danach wurden wir auf dem Flughafengelände untergebracht, jeder einzelne von uns wurde befragt und kontrolliert. Man wollte sichergehen, dass unter uns keiner war, der aus seiner früheren Zeit in Afghanistan noch Straftaten offen hatte und sich ins Ausland abgesetzt hatte, ohne diese zu verbüßen. Wir haben in dieser Zeit dreimal am Tag Essen bekommen, durften auf dem Gelände spazieren gehen. Rauchen durften wir nicht, das ist in amtlichen Gebäuden hier verboten. Kautabak war aber erlaubt. Ich habe traditionelle afghanische Kleidung erhalten. Für mich kam sogar extra jemand, der Maß genommen und mir etwas geschneidert hat. Wir durften auch von unserem Geld Schokolade kaufen oder private Anrufe tätigen, ich habe dann meine Mutter in Deutschland angerufen und sie gebeten, dass Verwandte aus Kabul an den Flughafen kommen und für mich bürgen.
Ich war über diese fast schon freundliche Behandlung sehr überrascht. So wie viele andere Menschen in Deutschland auch habe ich viel Negatives über Afghanistan und die Taliban gehört. Ich dachte, das sind alles Wilde und Terroristen und dass wir sofort erschossen oder erhängt werden, wenn wir ankommen. Ich habe einige Tage gebraucht, um ihnen zu vertrauen, ich dachte, das sei alles Maskerade und später wird etwas mit uns passieren. Aber dann habe ich gemerkt: Das ist keine Maskerade. Für diese Menschen waren wir auch sehr interessant. Sie wollten wissen, wer wir sind und haben zum Beispiel darüber gelacht, dass ich nicht im Schneidersitz sitzen kann.
Was ist Ihnen in der Zeit am Flughafen durch den Kopf gegangen?
Ich wurde ja einfach aus dem Leben gerissen und hierher gebracht. Aber ich konnte ja nichts tun, ich war halt jetzt da. Und wie ich gedacht habe, dass Afghanistan ist, war es dann nicht. Es ist hier inzwischen sehr sicher. Die Straße, in der ich hier im Stadtteil Shar-e-Naw wohne, konnte man früher abends nicht mehr betreten, es gab hier keine Sicherheit. Heute kann ich die Tür zu meinem Laden offenlassen, keiner klaut was. Früher hätte man beispielsweise einen Raub begehen können und dann einen Polizisten oder Kommandanten bestechen, um keine Strafe zu bekommen. Heute geht das nicht mehr, man kann niemanden mehr bestechen.
Sie meinen, die Korruption wurde abgeschafft?
Ja, im Islamischen Emirat Afghanistan gibt es diese Korruption nicht, für die Taliban zählt das Geld nicht. Sie versuchen, die Wirtschaft in Gang zu bekommen.
Wie hat Sie Ihre Nachbarschaft aufgenommen?
Natürlich wissen alle, dass ich aus Deutschland zurückgekommen bin, so was spricht sich hier sehr, sehr schnell rum. Sie wissen auch, dass ich dort Mist gebaut habe. Aber sie sagen, solange ich hier nichts mache, ist alles in Ordnung. Viele schauen hier auch zu mir auf, weil ich in Deutschland so viele Sachen gelernt habe. Ich spreche sieben Sprachen, habe zwischendrin auch gearbeitet. Ich habe Fähigkeiten, von denen die Menschen hier profitieren können.
Wie meinen Sie das?
Naja: Mit dem, was ich in Deutschland gelernt habe, bin ich hier ja sozusagen eine Fachkraft. Ich kann lesen und schreiben, das können die meisten Menschen hier nicht. Ich kann also zum Beispiel Lebensläufe schreiben, ein E-Mail-Konto einrichten, ein Handy einrichten, eine Apple ID. Das sind zwar nur Kleinigkeiten, aber für die Menschen hier ist das sehr viel. Ein Freund von mir gibt mir immer sein Handy, wenn er jemanden anrufen will. Er kann selbst die Namen nicht lesen.
Wie fühlt es sich für Sie an, jetzt der Gesellschaft etwas beitragen zu können?
In Deutschland war ich ein niemand, aber hier in meinem Land bin ich jemand, ich weiß viel. Die Menschen haben vor mir Respekt.
Welche Straftaten haben Sie begangen?
Raub, Körperverletzung, Diebstähle, räuberische Erpressung, Versicherungsbetrug. Ich habe Dealern Geld geklaut. Schweren Raub hatte ich zuletzt.
Haben Sie Heimweh nach Ihrem alten Leben?
Heimweh nicht. Aber ich vermisse kleine Sachen. Beispielsweise beim Autofahren. Die Menschen fahren hier sehr wild. Ich vermisse, dass ich in Deutschland ganz normal fahren konnte. Dann natürlich die Pünktlichkeit, das vermisse ich sehr. Aber es ist nicht so, dass ich nach Deutschland zurückwill. Ich will hier bleiben, mein Leben hier ist gerade sehr gut. In Deutschland hatte ich keinen Laden. Ich konnte mir keine große Wohnung mieten. Dort ging alles vom Amt aus, das Amt hat entschieden, wo ich wohne. Hier kann ich selbst entscheiden. Ich bin hier frei.
Durften Sie die 1000 Euro behalten, die Sie aus Deutschland mitbekommen haben?
Ja natürlich. Wir mussten nichts abgeben. Die Taliban haben alles kontrolliert und notiert und sie wollten auch wissen, woher das Geld kommt. Ich habe gesagt, dass es von Deutschland als Starthilfe ist. Das fanden sie gut. Denn was viele in Deutschland nicht wissen: Hätten wir kein Geld gehabt, hätten wir von den Taliban eine Starthilfe in Höhe von meine ich 14.000 Afghani, das sind rund 200 Euro, und noch Lebensmittel und Klamotten erhalten. Das bekommen beispielsweise die Afghanen, die aus Iran und Pakistan abgeschoben werden, wenn sie wieder hier sind. Denn wenn Du von dort aus abgeschoben wirst, bekommst Du kein Geld.
Mit Abdul Saber Fazeli sprach Liv von Boetticher
Erstmals seit 2022 reiste RTL-Reporterin Liv von Boetticher im Februar unter schwierigsten Bedingungen nach Afghanistan, um sich auf die Suche nach den 28 afghanischen Straftätern zu machen, die im Sommer 2024 aus Deutschland in ihr Herkunftsland abgeschoben worden waren. Was passierte mit den Männern nach ihrer Ankunft in Kabul? Und welches Leben führen sie heute? Liv von Boetticher ist es gelungen, mit vier von ihnen zu sprechen. Die ganze Recherche zeigt RTL am 11. März um 22:30 Uhr in EXTRA.
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