Nachdem durch Recherchen von WELT schwere Vorwürfe gegen den Leiter der afghanischen Botschaft in Madrid, Rahim Peerzada, bekannt geworden sind, drohen dem Diplomaten nun strafrechtliche Konsequenzen. Mehrere Frauen hatten im Gespräch mit dieser Redaktion von übergriffigem Verhalten Peerzadas berichtet. Eine mittlerweile in Deutschland lebende Betroffene schilderte eine mutmaßliche Vergewaltigung, die sie im vergangenen Sommer zur Anzeige gebracht hat.
Zudem warfen afghanische Aktivisten dem Mann, der als Botschafter Afghanistans in Spanien auftritt, Korruption vor. Dieser habe Gebühren für konsularische Angelegenheiten auf sein Privatkonto überweisen lassen. WELT AM SONNTAG liegen Dutzende entsprechende Überweisungsbelege vor.
Der erste WELT-Bericht über den Diplomaten hatte ein großes internationales Echo ausgelöst, spanische Leitmedien berichteten ebenso wie der britische „Telegraph“. Auf Anfrage der Zeitung „El Pais“ erklärte das spanische Außenministerium nun, Peerzada vertrete „keine offizielle Delegation, ist in Spanien nicht akkreditiert und genießt in unserem Land keine diplomatische Immunität“. Damit wäre es Strafverfolgungsbehörden möglich, gegen den Afghanen zu ermitteln.
Doch die Stellungnahme wirft Fragen auf: Noch Ende Januar hatte das Außenministerium Peerzada in einem Dokument offiziell als Vertreter der afghanischen Delegation benannt. Demnach wurde Peerzada im Februar 2021 als Diplomat akkreditiert. Der ehemalige afghanische Botschafter in Madrid, Humayoon Rasaw, der nach der Machtergreifung der Taliban 2021 zurücktrat, bestätigte dieser Redaktion zudem, dass Peerzada als Mitglied der afghanischen Delegation nach seinem Abgang die Geschäfte übernommen hatte.
Auch die Ermittlungsbehörden gingen bislang davon aus, dass sie Peerzada aufgrund von diplomatischer Immunität nicht belangen könnten. Die Staatsanwaltschaft Madrid stellte Vorermittlungen wegen der Vergewaltigungsvorwürfe deshalb im September 2024 ein. Das geht aus Dokumenten hervor, die WELT AM SONNTAG vorliegen. Wieso sich Peerzadas Status geändert hat, ließ das Außenministerium auf Nachfrage offen.
Der Vorgang ist ungewöhnlich. Denn die Immunität eines Diplomaten kann nur entzogen werden, wenn der Entsendestaat zustimmt. Möglich scheint, dass Peerzadas Akkreditierung in Spanien nach vier Jahren auf dem Posten schlicht abgelaufen ist.
Die Staatsanwaltschaft prüft nun die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens. „Sobald es eine Entscheidung diesbezüglich gibt, wird sie bekannt gegeben“, erklärte ein Sprecher auf Anfrage.
WELT AM SONNTAG erfuhr indes, dass eine weitere Frau in Spanien juristische Schritte gegen Peerzada eingeleitet hat. Die mutmaßliche Geschädigte gibt an, von 2021 bis 2023 mit Peerzada zusammen gewesen zu sein. Am 7. März 2022 soll Peerzada ihr einen Verlobungsantrag gemacht haben – nur wenige Tage, bevor er eine Frau vergewaltigt und zwei weitere belästigt haben soll. WELT AM SONNTAG liegen Belege für die Liaison vor. Die mutmaßlich Betroffene beschuldigt den Diplomaten des Betrugs: Er habe die Beziehung ausgenutzt, um Tausende Euro zu erhalten, ohne sie zurückzuzahlen.
Die Frau fordert unter anderem die Rückerstattung von 20.000 Euro. Laut Aussage der Frau teilten die Behörden im März dieses Jahres auch ihrem Anwalt mit, dass Peerzadas diplomatische Immunität Ermittlungen im Weg stehe. Mehrere Nachfragen zu dem Fall beantwortete die Staatsanwaltschaft unter Verweis auf Persönlichkeitsrechte nicht. „Bitte belästigen Sie mich nicht mehr“, schrieb Sprecher Inigo Corral WELT AM SONNTAG.
Die Frauen, die traumatische Erfahrungen mit Peerzada geschildert haben, beschreiben ein Muster: Sie hätten Peerzada bei Veranstaltungen der Botschaft kennengelernt. Er sei freundlich gewesen und habe sie später privat kontaktiert – mal mit einem Jobangebot, mal unter dem Vorwand, Angehörigen der Frauen helfen zu wollen. Die mittlerweile nach Deutschland geflohene Betroffene berichtet von einem Treffen in einer Shisha-Bar. Nachdem sie eine Cola ausgetrunken habe, habe sie nur noch verschwommen gesehen und ihre Bewegungen nicht mehr kontrollieren können. Ihre weiteren Erinnerungen sind vage: Sie hätten die Bar verlassen, in einem Hotelzimmer habe Peerzada ihr noch ein Glas Wasser serviert. Dann sei alles schwarz geworden. Nur in einem Moment sei sie kurz wieder zu sich gekommen. Peerzada sei auf ihr gewesen, so die Betroffene.
Peerzada wies auf Anfrage alle Vorwürfe als „haltlos“ zurück. Mit Blick auf die mutmaßlich Betroffenen erklärte die Botschaft: „Es wäre angemessener gewesen, wenn diese Personen ihre Anliegen über die zuständigen Behörden des Landes, in dem sie sich aufhalten, vorgebracht hätten. Dies hätte eine ordnungsgemäße rechtliche Prüfung ermöglicht.“ Für die Frau, deren Anzeige wegen Peerzadas damaliger Immunität im Sand verlief, muss das wie blanker Hohn klingen.
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