Im Eingangsbereich des Spionagemuseums in Berlin-Mitte tummelt sich eine Schulklasse. Kameraattrappen richten sich auf die Eingangstür. Dahinter flimmern Überwachungsmonitore, die eine ganze Wand bedecken. Um ins Museum zu gelangen, passieren die Schüler eine simulierte Sicherheitsschleuse, die der eines Flughafenterminals ähnelt.
Im ersten Ausstellungsraum steht ein älterer Herr im dunklen Anzug, der wenig in die Szenerie passt. Es ist Gerhard Conrad, ehemaliger Agent des Bundesnachrichtendienstes (BND), dem Auslandsgeheimdienst Deutschlands.
Bis 2011 war weder Conrads Name noch sein Gesicht bekannt. Im Auftrag der Bundesregierung und der Vereinten Nationen vermittelte der Islamwissenschaftler zwischen Israel und der libanesischen Terrormiliz Hisbollah. Als Geheimunterhändler zwischen der Hamas und Israel war Conrad maßgeblich an der Befreiung der israelischen Geisel Gilad Schalit im Jahr 2011 beteiligt, für die im Gegenzug palästinensische Terroristen freikamen. Unter ihnen befand sich auch Jahja Sinwar, der Drahtzieher hinter den Massakern des 7. Oktober 2023 in Israel.
Conrad wirkt, als könne er auf den Aufenthalt im Museum verzichten. Da er zuvorkommend ist, lässt er sich das kaum anmerken. „Wenn das hier als augenzwinkernde Show verstanden wird, kann man das machen“, sagt er mit einer leicht abwertenden Handbewegung. Im Hintergrund spielt ein Tonband Schussgeräusche und Sirenen ab. Der Raum ist abgedunkelt, nur die ausgestellten Dechiffriermaschinen und Waffen sind angestrahlt.
Nachdem der Geiseldeal abgeschlossen war, beendete Conrad seine Tätigkeit als Vermittler und stieg 2011 zum Leiter des BND-Leitungsstabs auf. Fortan war seine Identität bekannt. Weitere hohe Ämter folgten, unter anderem als Leiter des EU Intelligence Analysis Centre.
Nach seiner aktiven Zeit im Dienst holte ihn seine Vergangenheit ein. In seinem Umfeld werde er zuweilen gefragt, ob er sich wegen der Freilassung Sinwars etwas vorzuwerfen habe. Dann erwidere er, dass er in seiner Rolle als Vermittler nicht über die Kandidaten des Austauschs zu entscheiden hatte. Er habe sein Möglichstes getan: „Ein Arzt gibt auch sein Bestes – trotzdem stirbt der Patient manchmal.“
Im Obergeschoss des Museums betrachtet Conrad das Modell einer Abhörwanze, die in einem Schuhabsatz verbaut ist. In einer Vitrine daneben liegt eine präparierte Zigarette, in der eine künstliche Giftkapsel steckt. Wenig beeindruckt kommentiert er, was er sieht – ganz so, als würde von ihm als ehemaligem Geheimdienstler eine Einschätzung erwartet. Als das Stimmengewirr der Schulklasse nähert, deutet er an, das Gespräch lieber in einem anderen Teil des Museums weiterführen zu wollen.
Er habe „so ein Zeug nie gehabt“ und „um Gottes willen“ keine Waffe getragen. Seine Verhandlungen mit der Hamas fanden in einer unauffälligen Wohnung in Gaza an einem Küchentisch statt. Er sei vorangekommen, weil es geschafft habe, sich in die andere Seite hineinzuversetzen und Empathie zu entwickeln. Dabei half ihm sein fließendes Arabisch. „Sie sollten die andere Seite nicht davon überzeugen wollen, dass sie Unrecht hat – auch wenn es schwerfällt.“
Neongrüne Laserstrahlen durchfluten einen separaten Raum des Museums. Es ist ein Hindernisparcours, den Besucher durchqueren und dabei den Strahlen ausweichen müssen. Laute Musik erschwert eine Unterhaltung. Ein Flachbildschirm zeigt eine Filmszene, von der sich das Museum die Idee abgeschaut hat. Auf weiteren Bildschirmen rast James Bond auf dem Snowboard einen Berg hinunter.
Fatalismus und Stoizismus
„Ist ja ganz schön anzugucken“, sagt Conrad. „Aber mit bluttriefenden Händen läuft im echten Leben selten jemand durch die Gegend.“ Die Mystifizierung der Geheimdienste sehe er negativ. „Viele Bürger nehmen Nachrichtendienste als eine hochgefährliche Vereinigung wahr, die ihrem Land schadet.“ Das sei auch ein Grund, warum er sich nach der aktiven Zeit entschieden habe, über Erlebtes zu sprechen.
Erzählt Conrad von seiner Arbeit, zwinkert er gelegentlich mit beiden Augen. Er lächelt viel. Schwere Themen lockert er mit einem jovialen Spruch oder Kraftausdruck auf. Vom Typus des wortkargen Hollywood-Agenten ist er weit entfernt. Scherzhaft nennt er sich selbst schon mal einen „Trottel“.
Der 71-Jährige tritt bescheiden auf. Eine winzige Ordensspange am Revers verrät, dass er Träger des Bundesverdienstkreuzes ist. Er sagt, er könne gut mit Menschen. Den im Herbst 2024 getöteten Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah habe er bei Verhandlungen als „im persönlichen Umgang reizenden Menschen“ erlebt.
Conrad steht mit dem Rücken zu einem originalgetreuen Model des Ost-West-Grenzübergangs an der Glienicker Brücke. Spielzeugautos und Plastikfiguren stellen einen Agentenaustausch während des Kalten Krieges nach. DDR-Diplomatenpässe liegen in einer Vitrine dahinter aus.
Auch Conrad musste viele Checkpoints im Nahen Osten passieren. Durch ein Sicherheitsleck bei den Vereinten Nationen fand die Presse heraus, dass ein Deutscher Unterhändler zwischen Hamas und Israel eingesetzt wird. Da die Journalisten seinen Namen nicht kannten, hieß er in den Zeitungen plötzlich „Mr. Hamas“. Um die Mission nicht zu gefährden, ließ er sich – mit Genehmigung der Israelis – einen Pass mit falschem Namen ausstellen und reiste so unentdeckt in die Region.
Die ständige Konfrontation mit bewaffneten Konflikten und Geiselnahmen habe ihn geprägt, sagt Conrad. „Sie werden zum Zyniker, weil Sie akzeptieren, dass das der Lauf der Welt ist.“ Etwas Fatalismus und Stoizismus habe ihm geholfen, auch mit finsteren Personen an Einigungen zu arbeiten. Nach dem enormen psychischen und physischen Druck, den er während der zweijährigen Verhandlungen um die Freilassung Schalits erlebte, sei er „emotional zerschlissen“ gewesen.
In einem für ihn typischen Understatement schiebt er hinterher, er habe nur über die Freilassung einer einzigen Geisel verhandeln müssen. Die Hamas habe heute viel mehr Geiseln in ihrer Gewalt, und politisch stehe mehr auf dem Spiel. Die heutigen Unterhändler hätten eine noch viel schwerere Aufgabe.
Derzeit ist die Waffenruhe in Gaza unterbrochen, Israel hat Luftangriffe auf Ziele der Hamas in dem Küstengebiet wieder aufgenommen und Bodeneinsätze ausgeweitet. Jerusalem versucht, die Hamas unter Druck zu setzen, die verbleibenden Geiseln freizulassen und Freilassung und neue Bedingungen für das Waffenruheabkommen zu akzeptieren. Ägypten und Katar agieren in den aktuellen Verhandlungen über eine neue Waffenruhe als Vermittler.
Im Spionagemuseum in Berlin-Mitte stöbern derweil kurz vor dem Ausgang Besucher im Museumsshop. Titelsongs von James Bond erfüllen den Raum, ein metergroßes Foto seines Sportwagens ziert die Wand. Im dazugehörigen Café stehen Martinigläser im Regal. Spionageromane mit geheimnisvollen Covern stehen zum Verkauf. Ein Besucher begutachtet eine goldene Thermoskanne, deren Design einer Patronenhülse nachempfunden ist.
Jan H. Rosenkranz ist Volontär der Axel Springer Academy of Journalism and Technology.
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