Das afghanische Taliban-Regime sieht nach der Bundestagswahl offenbar eine Chance, seine internationale Isolierung zu durchbrechen. Man sei bereit, rückreisewillige Afghanen und auch Straftäter aufzunehmen. Nötig sei allerdings "ein offizieller Mechanismus".

Die Taliban hoffen nach Amtsantritt der neuen Bundesregierung auf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Deutschland. Im Interview mit RTL/ntv lud Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid Vertreter der Bundesrepublik zu einem Besuch nach Kabul ein.

"Wir haben den Wunsch an diese Regierung, ernste Schritte bei der Wiederaufnahme der deutsch-afghanischen Beziehungen zu unternehmen und auf hoher politischer Ebene eine Reise nach Afghanistan anzutreten", sagte Mujahid. "Sie sind eingeladen, die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan vor Ort zu studieren und mit unserer politischen Führung Gespräche abzuhalten."

Seit der Machtübernahme der Taliban 2021 ist Afghanistan international isoliert. Offiziell hat kein Land der Welt das Taliban-Regime in Kabul anerkannt, auch die Vereinten Nationen nicht.

Mujahid machte in dem Interview deutlich, dass eine diplomatische Anerkennung für die Taliban von höchster Priorität ist. Auf die Frage, welche Forderungen er an die deutsche Politik habe, nannte er drei Wünsche, die allesamt dasselbe Ziel verfolgen: "Mein erster Wunsch ist, dass die deutschen Politiker und die Regierung verstehen, dass wir als Islamisches Emirat Afghanistan gute Beziehungen mit Deutschland wollen. Wir möchten zwischen beiden Ländern die historischen Beziehungen erneuern. Mein zweiter Wunsch sind gute diplomatische Beziehungen, von denen beide Seiten profitieren. Mein dritter Wunsch ist, dass das deutsche Volk seine Politiker ermutigt, mit Afghanistan wieder Beziehungen aufzunehmen."

Künftige Koalition will Abschiebungen verstärken

Im Quadrell von RTL und ntv hatte CDU-Chef Friedrich Merz Verhandlungen mit den Taliban gefordert, um mehr Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen. In ihrem am Sonntag veröffentlichten Sondierungspapier haben sich Union und SPD darauf verständigt, Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien wieder aufzunehmen, "beginnend mit Straftätern und Gefährdern". Abschiebungen in diese Länder sind wegen der dortigen Sicherheitslage umstritten.

Im August 2024 hatte die Ampel-Regierung 28 Straftäter nach Afghanistan abgeschoben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD kündigte im Oktober "zeitnah" weitere Abschiebungen an, zu denen es jedoch nicht kam. Der Grund ist unbekannt; die Äußerungen von Mujahid legen allerdings nahe, dass die Taliban diplomatische Beziehungen fordern.

"Wir sind zu allem bereit", aber offiziell muss es sein

Afghanen könnten "jederzeit zu uns und in ihre Heimat zurückkehren", sagte Mujahid. Er betonte zugleich: "All das bedarf aber eines offiziellen Mechanismus und Absprachen, damit die normalen Rückkehrer von den Straftätern getrennt bleiben, die Rechte der normalen Rückkehrer vor Ort beachtet werden und juristisch mit den Straftätern korrekt verfahren werden kann." Auch mit Blick auf die Zahl von Rückführungen sagte er: "Wir sind zu allem bereit, es bedarf aber eines offiziellen Mechanismus, der über das Außenministerium geht."

Offizielle diplomatische Kontakte zwischen Deutschland und dem Taliban-Regime gibt es nicht, Gespräche finden lediglich auf der sogenannten technischen Ebene statt. "Von Zeit zu Zeit haben unsere Diplomaten deutsche Diplomaten im Rahmen internationaler Konferenzen getroffen, etwa in Doha", sagte Mujahid. "Auch über die afghanischen Konsulate, beispielsweise in München, haben wir Botschaften und Nachrichten ausgetauscht. Das sind natürliche Kontakte auf niedriger Ebene und wir möchten Kontakte auf hoher Ebene haben und dass zwischen beiden Ländern diplomatische Beziehungen aufgenommen werden."

Mujahid beschreibt Deutschland als diplomatischen Baustein für eine generelle Anerkennung des Taliban-Regimes: Ziel sei, Afghanistan im internationalen Staatengefüge zu vernetzen. "Wir versuchen bei dieser Agenda erfolgreich zu sein. Deutschland ist ein wichtiges Land und wir versuchen, dass wir von dieser niedrigen Kontaktebene die Beziehungen nach oben bringen."

Afghanistan-Experte Thomas Ruttig sagte bereits im vergangenen Jahr im Interview mit ntv.de, die diplomatische Anerkennung sei eines der wichtigsten politischen Ziele der Taliban. Sie würden deshalb auch Straftäter aufnehmen. "Möglicherweise würden sie Straftaten, die diese Personen im westlichen Ausland begangen haben, anders bewerten. Allerdings werden sie sich aus den genannten diplomatischen Interessen derzeit hüten, so etwas offiziell zu äußern."

"Vollständige Sicherheit im Land"

Mujahid stellt Afghanistan als sicheres Land dar, in dem "das Morden und Sterben ein Ende gefunden" habe. Vor der Machtergreifung der Taliban habe es in Afghanistan keine Sicherheit gegeben. "Jetzt aber haben wir für vollständige Sicherheit und Stabilität im Land gesorgt." Afghanistan sei zudem "dabei, wirtschaftlich langsam auf die eigenen Füße zu kommen". Nach Angaben des UN-Welternährungsprogramms WFP haben 14,8 Millionen Menschen in Afghanistan keinen regelmäßigen und sicheren Zugang zu Nahrung.

In Afghanistan gebe es "inzwischen Bildung für alle, und für Mädchen ist die Schule bis einschließlich zur sechsten Klasse nach den bestmöglichen Standards verpflichtend", so Mujahid weiter. Danach gebe es keine Schulpflicht für Mädchen, "weil dies im Kontext der islamischen Gesetzgebung steht". Man arbeite daran, "konforme Lösungen hierfür zu finden".

Tatsächlich ist der Schulbesuch Mädchen nach der sechsten Klasse verboten. In der Praxis haben nach Zahlen der UN 30 Prozent der afghanischen Mädchen nicht einmal mit der Grundschule angefangen.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat im Januar Haftbefehle gegen den religiösen und politischen Führer des Taliban-Regimes, Hibatullah Achundsada, sowie gegen den obersten Taliban-Richter beantragt. Der IStGH wirft den beiden Unterdrückung und Verfolgung von afghanischen Frauen und Mädchen vor. Erst vor wenigen Tagen wies Bundesaußenministerin Annalena Baerbock darauf hin, dass die Taliban im Dezember ein Dekret erlassen haben: Dieses schreibe vor, dass Räume, die normalerweise von Frauen benutzt werden, keine Fenster haben dürfen. Baerbock warf den Taliban vor, die Hälfte der Bevölkerung in einen "sozialen Kerker" zu sperren.

Die Vereinten Nationen sprechen in einem Bericht über die Situation von Frauen und Mädchen in Afghanistan von einer "Atmosphäre der Angst". Fortschritte in Richtung Gleichberechtigung seien in Afghanistan "einer alptraumhaften Realität gewichen, in der Frauenrechte systematisch abgeschafft werden".

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